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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Zum guten Schluss fühlte Lirael sich frei von allem, was ihr so sehr zu schaffen gemacht hatte.
    Filris bat sie, ihr die Statuette zu zeigen. Lirael zog das Steinhündchen unter ihrem Kopfkissen hervor und reichte es der alten Frau nur widerstrebend. Sie hatte es sehr ins Herz geschlossen, denn es war das Einzige, was ihr Trost gebracht hatte, und sie befürchtete, dass Filris es ihr wegnehmen oder ihr auftragen würde, es in die Bibliothek zurückzubringen.
    Die Greisin nahm die Statuette so in beide Hände, dass nur das Schnäuzchen des Hundes zwischen ihren pergamentenen Fingern herausragte. Sie betrachtete es lange Zeit; dann seufzte sie tief und gab es Lirael zurück. Diese nahm das Hündchen und staunte, wie warm es in den Händen der Greisin geworden war.
    »Es tut mir Leid, Lirael«, sagte Filris nach langem Schweigen. »Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast. Und ich danke dir vor allem, dass du mir die Hundestatuette gezeigt hast. Schon lange, sehr lange glaubte ich, in der Zukunft verloren zu sein… dass ich zu senil bin, die Wahrheit zu sehen.«
    »Was meint Ihr damit?«, fragte Lirael besorgt.
    »Ich habe dein Hündchen vor langer Zeit Gesehen«, erklärte Filris. »Als mir die Sicht noch klar gegeben war. Es war die letzte vollständige Vision, die mir vergönnt gewesen war, ohne Auflösung oder Zersplitterung. Ich Sah eine uralte Frau, die ein kleines Steinhündchen betrachtete, das sie in Händen hielt. Ich brauchte viele Jahre, bis mir bewusst wurde, dass ich diese Greisin war.«
    »Habt Ihr mich ebenfalls Gesehen?«, fragte Lirael.
    »Nein, nur mich selbst«, antwortete Filris ruhig. »Ich fürchte, das bedeutet, dass wir uns nicht mehr Wiedersehen. Ich hätte dir gern geholfen, das Ungeheuer zu besiegen, das du freigelassen hast – wenn nicht mit Taten, dann mit meinem Rat. Denn du wirst kämpfen müssen. Kreaturen dieser Art erwachen nicht grundlos oder ohne Hilfe. Ich hätte auch gern deinen Hundesendling gesehen. Schade, dass es nicht mehr dazu kommt. Am meisten bedaure ich, dass ich in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht genug in der Gegenwart gelebt habe. Ich hätte dir früher begegnen sollen, Lirael. Es ist eine Schwäche der Clayr, dass wir manchmal die Einzelnen und ihre Schwierigkeiten vergessen, weil wir wissen, dass alles vergänglich ist.«
    »Was meint Ihr damit?«, fragte Lirael. Zum ersten Mal fühlte sie sich wohl dabei, über sich und ihr Leben zu reden. Zugleich aber schien es ihr, als wären diese Augenblicke in Filris’ Gesellschaft lediglich die Kostprobe einer Vertrautheit, die andere ständig genossen; es schien ihr, als wäre sie, Lirael, vom Schicksal dazu bestimmt, nie das zu haben, was andere Clayr als selbstverständlich erachteten.
    »Jede Clayr hat die Gabe, ein Vorzeichen ihres Todes zu Sehen, nicht jedoch den Tod selbst, denn kein Sterblicher könnte das ertragen. Vor fast zwanzig Jahren Sah ich mich und dein Hündchen, und mit der Zeit wurde mir bewusst, dass dies die Vision war, die auf meine letzten Tage hindeutete.«
    »Aber ich brauche Euch!« Lirael schluchzte und umarmte die gebrechliche Gestalt. »Ich kann nicht allein weitermachen!«
    »Du kannst es und du wirst es«, entgegnete Filris heftig. »Mache deinen Hund zu deinem Gefährten, damit er der Freund ist, den du benötigst. Du musst alles über das Ungeheuer erfahren, das du befreit hast, und es besiegen. Erforsche die Bibliothek. Die Clayr Sehen eine Zukunft, die andere machen – vergiss das nie. Ich fühle, dass du eine Macherin werden wirst, keine Seherin. Gib mir dein Wort, dass du nicht nachgibst, dass du nie die Hoffnung aufgibst. Mache deine Zukunft, Lirael.«
    »Ich werde es versuchen«, flüsterte Lirael und spürte, wie die leidenschaftliche Energie Filris’ in sie strömte. »Ich werde es versuchen.«
    Filris nahm ihre Hand und hielt sie viel fester, als Lirael es bei den dünnen, knotigen Fingern der alten Frau für möglich gehalten hätte. Dann küsste sie Lirael auf die Stirn und sandte ein Prickeln durch ihr Charterzeichen, das von dort durch ihren ganzen Körper strömte.
    »Ich war weder Arielle noch ihrer Mutter nahe«, sagte Filris leise. »Ich nehme an, ich war zu sehr Clayr, zu sehr in der Zukunft. Ich bin froh, dass ich nicht zu spät kam, mit dir zu sprechen. Leb wohl, meine Urururenkelin. Vergiss dein Versprechen nicht!«
    Mit diesen Worten verließ sie die Station. Hoch aufgerichtet und stolz ging sie davon, so dass niemand darauf gekommen wäre, dass Filris über

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