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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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vom Meer umgeben und zum Himmel hin offen. Die ganze Welt – die Welt, welche die anderen Clayr im Eis des Observatoriums sahen – lag da draußen. Lirael jedoch kannte die Welt nur aus Büchern und den Gesprächen Reisender, die sie im Unteren Refektorium belauscht hatte.
    Zum ersten Mal fragte sich Lirael, was die Clayr mit ihren erweiterten Wachen dort draußen zu Sehen versuchten. Wo war der Ort, der sich der Sicht widersetzte? Was war die Zukunft, die dort begann – vielleicht gerade jetzt, während sie hinausblickte?
    Irgendetwas kribbelte in Liraels Hinterkopf – eine Art Déjà-vu-Erlebnis oder eine flüchtige Erinnerung. Doch sie wusste nicht, was es war, und starrte weiterhin gebannt auf die Welt vor dem Fenster.
    »Es gibt viel zu tun!«, wiederholte die Hündin drängend.
    Widerwillig löste Lirael sich von dem Anblick und konzentrierte sich auf ihr Vorhaben. Das Schlafzimmer musste sich hinter diesem Gemach befinden. Aber wo war die Tür? Es gab hier nur das Fenster, die Tür vom Korridor und die Bücherregale…
    Lirael lächelte, als sie entdeckte, dass das Ende eines Regals statt eines Buchs einen Türknauf aufwies. Es sah Vancelle ähnlich, dass sie eine Tür hatte, die zugleich ein Bücherregal war.
    »Das Schwert ist in einem Ständer gleich links«, flüsterte die Hündin, die plötzlich ein wenig aufgeregt wirkte. »Öffne die Tür nicht zu weit.«
    »Ist gut.« Lirael versuchte vorsichtig, ob sie den Türknauf drehen, schieben oder ziehen musste. »Ich dachte, du wolltest nicht helfen.«
    Die Hündin antwortete nicht, denn kaum berührte Lirael den Knauf, schwang das ganze Bücherregal auf. Die Zeit reichte gerade noch, dass sie den Knauf ein wenig zurückziehen konnte, damit der Spalt nicht weiter wurde, als sie ihn brauchte, um durchzuschlüpfen.
    Das Schlafzimmer war dunkel; nur ein wenig von dem Mondlicht aus dem vorderen Raum fiel herein. Lirael bewegte sich ganz langsam voran und blieb dann stehen, damit ihre Augen sich an die Düsternis gewöhnen konnten, während sie die Ohren spitzte, damit ihr nicht das leiseste Geräusch entging.
    Nach ungefähr einer Minute konnte sie die dunklen Umrisse eines Bettes erkennen und hörte den regelmäßigen Atem von jemandem, der offenbar sehr tief schlief – obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie es wirklich hören konnte oder es sich bloß einbildete.
    Wie die Hündin gesagt hatte, befand sich in der Nähe der Tür ein metallener Ständer von zylindrischer Form, der oben offen war. Sogar im schwachen Licht konnte Lirael das Schwert sehen, das in der Scheide steckte. Der Knauf der Waffe befand sich nur wenige Zoll unterhalb vom oberen Ständerrand und würde leicht zu ergreifen sein. Doch um das Schwert herauszuziehen, musste sie so nahe wie möglich an den Ständer gelangen.
    Sie wich ins vordere Zimmer zurück und holte tief Atem. Im Schlafzimmer schien die Luft irgendwie dichter zu sein, beinahe undurchdringlich und widerlich süß, als wollte sie sich gegen Diebe wie Lirael zur Wehr setzen.
    Die Hündin zwinkerte ihr ermutigend zu. Trotzdem schlug Liraels Herz immer schneller, als sie sich erneut durch den Türspalt zwängte. Plötzlich wurde ihr auf seltsame Weise kalt.
    Sie atmete noch einmal tief durch; dann näherte sie sich mit vorsichtigen Schritten dem Ständer, betastete ihn mit beiden Händen und griff behutsam hinein, um das Schwert unterhalb des Knaufs mitsamt der Scheide herauszuziehen.
    Kaum hatte Lirael das Metall berührt, als das Schwert einen leisen Pfiff ausstieß und Charterzeichen um den Knauf aufleuchteten. Sofort ließ Lirael los und beugte sich nach vorn, damit die Schlafende nicht durch das Licht oder das pfeifende Geräusch geweckt wurde. Vor Angst, ihre Vorgesetzte wach und wütend zu sehen, wagte Lirael es nicht, sich umzudrehen.
    Doch kein empörter Aufschrei erklang, keine strenge Stimme fragte, was sie hier zu suchen habe. Das rote Flimmern vor ihren Augen schwand, als sie sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Sie spitzte die Ohren, um außer dem heftigen Pochen ihres Herzens etwas zu hören.
    Weder der Pfiff noch das blendende Licht hatten länger als eine Sekunde gedauert, wie ihr plötzlich klar wurde. Aber sie wusste, dass Binder selbst darüber bestimmte, wer ihn schwingen durfte und wer nicht.
    Lirael dachte kurz darüber nach; dann beugte sie sich hinunter und flüsterte so leise, dass sie selbst es kaum hören konnte: »Binder, ich möchte dich für diese Nacht ausleihen, damit du mir hilfst,

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