Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
und die Schwalben, die in den Klippen nisteten, stahlen aus Sams zerrissener Decke Wolle für ihre Nester.
    Sabriel traf zuerst ein. Ihr Papiersegler tauchte tief über den Übungsplatz, wo Sam sich mit Cynel, einer der sympathischeren Gardistinnen und einer ausgezeichneten Schwertkämpferin, durch achtundvierzig Angriffs- und Verteidigungsmuster plagte. Der Schatten des Papierseglers erschreckte beide und erlaubte Cynel, sich den entscheidenden Punkt und damit den Sieg zu holen, da sie sich schneller von ihrer Überraschung erholte, während Sam für den Augenblick wie gelähmt war.
    Der gefürchtete Tag war gekommen – und ausgerechnet jetzt schwanden Sams vorbereitete Erklärungen aus seinem Gedächtnis, als hätte seine Übungspartnerin ihm ein Loch in den Kopf gestoßen und nicht einfach ihr Holzschwert auf seinen dick gepolsterten Helm geschlagen.
    Er eilte in den Turm, um aus seiner Übungsrüstung zu schlüpfen, als die Fanfaren über dem Südtor erschallten. Zuerst glaubte Sam, sie würden zur Begrüßung seiner Mutter geblasen, bis er weitere Fanfaren über dem Westhof hörte, wo Sabriels Papiersegler gelandet sein musste. Das bedeutete, dass die anderen Fanfaren – die am Südtor – die Ankunft Touchstones meldeten, denn niemand sonst wurde mit Fanfarenschall begrüßt.
    Es war tatsächlich Touchstone. Sam schloss sich ihm zwanzig Minuten später im Privatsolarium der Familie an, einem großen Raum drei Stockwerke über der Großen Halle, mit einem einzigen langen Fenster, das einen Blick auf die Stadt gewährte.
    Als Sam eintrat, blickte Touchstone auf seine Hauptstadt hinunter und beobachtete, wie die Lichter aufflammten – helle Charterlichter und weiche Öllampen, flackernder Kerzenschein und Feuer. Es war eine der schönsten Tageszeiten in Belisaere, wenn die Lichter an einem warmen Frühlingsabend erstrahlten.
    Wie üblich sah Touchstone müde aus, obwohl er sich bereits gewaschen hatte und aus Rüstung und Reitkleidung geschlüpft war. Er trug einen Morgenrock nach ancelstierrischer Art, und sein gekräuseltes Haar war noch nass vom hastigen Bad. Er lächelte, als er Sam sah, und streckte ihm die Hand entgegen.
    »Du siehst besser aus, Sam«, stellte Touchstone fest, der die Röte nach dem Übungskampf im Gesicht seines Sohnes bemerkte. »Allerdings hatte ich auch gehofft, dass du dich im Winter zum Briefeschreiber entwickelst.«
    Sam hatte seinem Vater in der ganzen Zeit nur zwei Briefe geschickt und Ellimeres regelmäßigeren Schreiben bloß ein paar Zeilen hinzugefügt. »Vater, ich…«, begann er zögerlich und empfand sogar Erleichterung, dass er endlich zu dem Thema kommen konnte, über dem er den ganzen Winter gebrütet hatte. »Vater, ich kann nicht…«
    In diesem Moment schwang die Tür auf und Ellimere eilte hindurch. Sam schloss den Mund und starrte sie finster an, doch sie beachtete ihn nicht, sondern eilte zu Touchstone und umarmte ihn sichtlich erleichtert.
    »O Vater, ich bin ja so froh, dass du und Mutter zu Hause seid!«
    »Eine große glückliche Familie«, spöttelte Sam kaum hörbar.
    »Was hast du gesagt?« Touchstones Stimme klang plötzlich streng.
    »Nichts«, erwiderte Sam. »Wo ist Mutter?«
    »Unten im Reservoir«, antwortete Touchstone. Er nahm Sam in den anderen Arm und drückte auch ihn fest an sich. »Sie musste zu den Großen Steinen, weil sie verwundet wurde. Aber ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.«
    »Verwundet!«, riefen Ellimere und Sam erschrocken aus.
    »Nichts Ernsthaftes«, beruhigte Touchstone sie. »Eine dieser Toten Kreaturen hat sie ins Bein gebissen, und da sie keine Zeit hatte, sofort etwas dagegen zu unternehmen, hat die Wunde sich entzündet.«
    »Wird sie… wird sie…«, stammelte Ellimere besorgt und blickte entsetzt auf ihre eigenen Beine. Ihre Miene verriet, dass sie sich eine verwundete Sabriel gar nicht vorstellen konnte.
    »Nein, nein, sie wird ihr Bein nicht verlieren«, sagte Touchstone. »Sie musste sich hinunter zu den Großen Chartersteinen begeben, weil wir beide zu müde waren, die erforderlichen Heilzauber zu wirken. Dort unten aber können wir es. Dort ist auch der beste Ort, uns zu unterhalten. Eine Familienkonferenz sozusagen.«
    Das Reservoir, in dem die sechs Großen Chartersteine standen, war in vieler Hinsicht das Herz des Alten Königreichs. Zugang zur Charter war an jedem Ort des Alten Königreichs möglich. Normale Chartersteine wirkten wie Brücken und machten diesen Zugang sehr viel leichter. Die Großen

Weitere Kostenlose Bücher