Das alte Königreich 02 - Lirael
Großen Halle organisiert, doch es war eine freudlose Angelegenheit, hauptsächlich weil Sams bedrückte Stimmung sich den anderen mitteilte. Er weigerte sich zu tanzen, da er sich an diesem Tag weigern durfte – und weil er Geburtstag hatte, bedeutete dies, dass auch sonst niemand tanzen durfte. Er weigerte sich auch, seine Geschenke in Gegenwart der Anwesenden auszupacken – aus dem einfachen Grund, weil er keine Lust dazu hatte. Und er stocherte lustlos in dem gegrillten Schwertfisch mit Limone und Butterbrötchen herum, früher seine Lieblingsspeise. Er benahm sich wie ein verzogenes, schmollendes Balg von sieben Jahren, nicht wie ein junger Mann von siebzehn. Sam wusste das, konnte aber nichts dagegen tun. Es war zum ersten Mal seit Wochen, dass er nicht auf Ellimeres Befehle achten musste oder, wie sie es nannte, ihre »notwendigen Vorschläge«.
Die Feier endete früh und alle waren verärgert und schlecht gelaunt. Sam begab sich direkt in seine Werkstatt. Er ignorierte das Flüstern und die verstohlenen Blicke, als er die Halle verließ. Es war ihm egal, was die anderen dachten, obwohl er sich ganz und gar nicht wohl fühlte, als er bemerkte, wie Jall Oren ihn heimlich beobachtete. Ganz sicher wartete Jall nur darauf, Sams Eltern nach deren Rückkehr alles brühwarm zu erzählen.
Doch selbst das verblasste vor der Wahrheit, die seine Mutter von ihm erfahren würde: Sam konnte sich weder seine nähere noch seine entferntere Zukunft vorstellen. Und das Königreich brauchte sowohl einen Abhorsen-Nachfolger als auch einen königlichen Thronfolger. Ellimere war ohne Zweifel die perfekte Thronfolgerin, also musste Sam die Pflichten des Abhorsen übernehmen. Das aber war völlig unmöglich. Nicht, weil er es nicht wollte, wie alle glaubten – er
konnte
es nicht.
In dieser Nacht schloss Sam das Schränkchen links von seiner Werkbank auf, wie er es schon Dutzende Male getan hatte, um das
Buch der Toten
zu betrachten. Es stand in einem gesonderten Fach und schimmerte in seinem eigenen, Unheil verkündenden grünen Licht, welches das sanfte Glühen der Charterlichter an der Decke überschattete.
Sam streckte die Hand danach aus wie ein Jäger, der einen Hund streicheln will und zu spät entdeckt, dass er einen Wolf vor sich hat. Seine Finger berührten den Silberverschluss und die Charterzeichen darauf. Augenblicklich überkam ihn ein heftiges Schütteln und seine Haut wurde kalt wie Eis. Vergeblich versuchte er dagegen anzukämpfen. Schließlich riss er die Hand zurück und kauerte sich vor den Kamin.
Eine Woche nach seinem Geburtstag erhielt Sam einen Brief von Nick. Oder vielmehr die Reste eines Briefes, der auf maschinell hergestelltem Papier geschrieben worden war. Wie die meisten Produkte ancelstierrischer Technik hatte das Papier nach Überquerung der Mauer angefangen sich aufzulösen und bestand jetzt nur noch aus ein paar faserigen Überresten. Sam hatte Nick früher oft geraten, handgemachtes Papier zu verwenden, doch sein Freund hatte nie auf ihn gehört.
Trotzdem war noch genug vom Brief übrig, dass Sam mit einiger Fantasie daraus schließen konnte, dass Nick ihn um ein Visum für das Alte Königreich ersuchte – für sich selbst und einen Bediensteten. Er hatte vor, die Mauer um Mittwinter herum zu überqueren, und bat Sam, ihn an der Grenze abzuholen.
Sams Laune hob sich. Nick schaffte es immer wieder, ihn aufzuheitern. Er konsultierte sofort seinen Almanach, um festzustellen, welche Jahreszeit im Alten Königreich herrschte, wenn in Ancelstierre Mittwinter war. Generell war das Alte Königreich Ancelstierre um ein Vierteljahr voraus, doch es gab einige seltsame Schwankungen, vor allem um die Sonnenwenden und die jahreszeitlichen Übergänge, die es erforderlich machten, dass Sam sich im Almanach genauestens vergewisserte.
Almanache des Altes Königreichs und Ancelstierres waren in früheren Zeiten kaum zu bekommen gewesen. Doch vor zehn Jahren hatte Sabriel das kostbare Stück dem königlichen Drucker anvertraut, der es mit viel Ausdauer und Mühe kopiert hatte und auch alle handgeschriebenen Bemerkungen und Anfügungen Sabriels und früherer Abhorsen übernahm. Diese neuen Exemplare waren echte Kunstwerke – klarer Prägedruck auf festem Leinenpapier – und deshalb auch entsprechend teuer und nur einem Kreis Auserwählter vorbehalten. Sameth war sehr stolz gewesen, als seine Eltern ihm zum zwölften Geburtstag ein so kostbares Geschenk gemacht hatten.
Glücklicherweise war im Almanach
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