Das alte Königreich 03 - Abhorsen
ihnen ihren Willen aufzwingen wollte.
Dann lachten sie. Es war ein schreckliches Lachen, das nach einer riesigen Menschenmenge klang, die sich in einem Zustand von Wahnsinn und Schmerz befand. Denn diese Nekromantin war dermaßen unfähig, dass sie ihren Willen nicht gegen sie gerichtet hatte, die Größeren Toten, sondern gegen die Niederen Toten, die überall lagen.
Noch immer grässlich lachend stürmten die Größeren Toten voller Gier voran. Sie belauerten einander, um beim anderen vielleicht eine Schwäche zu entdecken und ihn aus dem Weg zu stoßen. Denn wer immer die Nekromantin zuerst erreichte, würde den größeren Teil ihres Lebens verschlingen können. Und Leben und Kraft waren das Einzige, was auf dem langen Weg aus dem Totenreich von Nutzen war.
Sie beachteten die ersten Geister gar nicht, die sich an ihre Beine klammerten und nach ihren Knöcheln schnappten. Sie schüttelten sie ab, wie eine lebende Person lästige Moskitos verscheuchen mochte.
Dann erhoben sich mehr und mehr Geister aus dem Wasser und warfen sich auf die drei Größeren Toten, so dass diese anhielten und die lästigen Niederen Toten beseitigten, indem sie sie zerfetzten und mit ihren feurigen Klauen auseinander rissen. Sie stampften und droschen um sich und brüllten vor Wut. Das Lachen war ihnen vergangen.
Der Größere Tote in Liraels unmittelbarer Nähe war so von greller Wut erfüllt, dass ihm der Charterzauber entging, der ihr seinen Namen verriet, und er sah nicht, dass sie ganz nahe an den Schauplatz seines Kampfes mit den Scharen seiner niederen Brüder herankam.
Doch Lirael hatte seine volle Aufmerksamkeit, als Kibeths schrecklicher Ton an seinem Ohr erklang – ein Laut, vor dem er nicht fliehen konnte, selbst als die Glocke verstummte.
»Lathal der Grässliche!«, befahl Lirael. »Deine Zeit ist gekommen. Das Neunte Tor ruft, und du musst es durchschreiten!«
Lathal schrie, als Lirael sprach, und sein Schrei war erfüllt von tausendjähriger Wut. Er erkannte die Stimme wieder, denn Lathal hatte die lange Wanderung zurück ins Leben in den letzten tausend Jahren zweimal gemacht, nur um von anderen mit demselben kalten Tonfall wieder ins Totenreich verbannt zu werden. Wenigstens hatte er jedes Mal verhindern können, dass es ihn durch das letzte Tor trieb. Jetzt aber würde Lathal nie mehr unter der Sonne wandeln, nie mehr das Leben der nichts ahnenden Lebenden trinken. Er befand sich zu nahe am Neunten Tor, und der Zwang war stark.
Auch Drubas und Sonnir hörten die Glocke, den Schrei und die Stimme, und sie wussten, dass dies kein leichtsinniger Nekromant war. Es war die Abhorsen – eine neue, denn sie kannten die alte und wären ihr aus dem Weg gegangen. Auch das Schwert war anders; sie würden es sich für die Zukunft merken.
Noch immer schreiend, wandte Lathal sich um und stolperte davon. Die Niederen Toten zerrten an seinen Beinen, während er durchs Wasser humpelte und immer wieder erfolglos umzukehren versuchte.
Lirael folgte ihm nicht. Sie wollte nicht zu nahe am Sechsten Tor sein, wenn es geschah, um nicht von der Strömung erfasst zu werden. Mit tiefer Befriedigung nahm sie wahr, dass die anderen Größeren Toten das Weite suchten und sich mühten, die allzu anhänglichen Geister loszuwerden.
»Darf ich sie mir schnappen, Gebieterin?«, fragte die Hündin begierig und starrte sprungbereit hinter den verschwindenden Schatten her. »Darf ich?«
»Nein«, sagte Lirael entschieden. »Lathal habe ich überrumpelt. Die beiden werden jetzt wachsam sein, und zu zweit sind sie viel gefährlicher. Außerdem haben wir keine Zeit.«
Während sie sprach, brach Lathals Geschrei plötzlich ab, und eine gewaltige Strömung entstand. Lirael stemmte sich breitbeinig dagegen und lehnte sich an die Hündin, die wie ein Fels im reißenden Wasser stand. Ein paar Minuten lang war die Strömung so stark, dass Lirael befürchtete, unter Wasser gezogen zu werden; dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war, und die Wasser der Sechsten Zone waren wieder glatt und still.
Sofort watete Lirael zu einer Stelle, an der sie das Sechste Tor öffnen konnte. Im Unterschied zu den anderen Zonen befand sich das Tor zum Verlassen der Sechsten Zone an keinem bestimmten Ort. Es würde sich von Zeit zu Zeit zufällig öffnen – was eine Gefahr darstellte – oder man konnte es irgendwo in einer bestimmten Entfernung zum Fünften Tor öffnen.
Für den Fall, dass es wie das vorherige Tor war, ergriff Lirael wieder das Halsband der
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