Das alte Königreich 03 - Abhorsen
entgegensetzen konnte.
»Lebe wohl«, sagte der Zerstörer. Dann richtete er Nicks Körper auf, balancierte auf dem schwankenden Boot und winkte den Kähnen. Gleichzeitig rief er einen Namen, der bis in den letzten Winkel des Seetals schallte.
»Hedge!«
In Panik versuchte Lirael immer wieder zu atmen, doch ihre Brust blieb erstarrt, und die Glocken lagen machtlos in ihren Händen. Charterzeichen jagten durch ihre Gedanken, als sie verzweifelt eine Möglichkeit suchte, sich zu befreien, bevor sie erstickte.
Doch es schien nichts zu geben, gar nichts, bis sie plötzlich erkannte, dass sie irgendetwas fühlte, in ihren Schenkeln, dort, wo Nehima quer über ihren Beinen lag. Sie vermochte das Schwert gerade noch am Rande ihres Blickfeldes zu sehen, denn sie konnte die Augen nicht bewegen. Charterzeichen leuchteten auf der Klinge, strömten in Liraels Körper und kämpften gegen den Bann der Freien Magie an, der sie zu ersticken drohte.
Doch die Zeichen konnten den Bann nur langsam lösen. Lirael würde selbst etwas tun müssen, um ihre Lungen von der tödlichen Lähmung zu befreien.
In einem verzweifelten Aufbäumen erkannte sie, dass sie die Knie hin und her bewegen und das Boot vielleicht zum Kentern bringen konnte. Es geriet leicht ins Schwanken. Wenn es kippte, war der Geist der Freien Magie vielleicht so sehr abgelenkt, dass der Bann brach.
Sie schaukelte erneut. Wasser schwappte ins Boot und floss zwischen die dicht gebundenen Binsen. Nicks Körper glich die schaukelnde Bewegung unbewusst aus. Die Aufmerksamkeit der Kreatur in ihm war ganz auf die Kähne und die Hemisphären gerichtet, die ihr eigentliches Ich enthielten.
Lirael verlor das Bewusstsein, als sie vergeblich nach Luft rang. Sofort kam sie wieder zu sich, und die Todesangst durchflutete ihre Adern. Sie schaukelte, so fest sie konnte, und das Binsenboot schwankte heftig, doch es kippte nicht. Lirael schrie lautlos und bewegte die Beine mit letzter Kraft, spannte jeden Muskel, den das Schwert aus dem Bann befreit hatte.
Wasser schwappte in einer großen Woge ins Boot, und einen Moment schien es, als würde es kentern. Doch die Seebewohner hatten es zu gut gebaut. Es richtete sich wieder auf. Nicks Körper allerdings war von der Heftigkeit der Bewegung überrascht worden. Er schwankte nach der einen Seite, versuchte sich am Bug festzuhalten, schwankte nach der anderen Seite – und stürzte in den See.
Lirael holte augenblicklich Luft. Einen Moment waren ihre Lungen erstarrt, dann füllten sie sich mit einem tiefen Atemzug, der den ganzen Körper erbeben ließ. Nicks Sturz hatte den Bann gebrochen. Schluchzend und keuchend steckte Lirael die Glocken zurück in den Gurt und packte ihr Schwert, dessen Charterzeichen am Griff ihr Wärme und Kraft gaben.
Die ganze Zeit hielt sie Ausschau nach der Nick-Kreatur. Doch sie sah keine Bewegung im Wasser. Dann entdeckte sie ein paar Meter vor ihr Dampf und Blasen aufsteigen, als würde der See zu kochen beginnen. Eine Hand – Nicks Hand – tauchte aus dem Wasser auf, griff nach dem Boot und riss mit übermenschlicher Kraft ein großes Stück der geflochtenen Binsen heraus. Dann erschien Nicks weit geöffneter Mund an der Wasseroberfläche und stieß einen schrillen Wutschrei aus, der jeden Marschvogel in einer Meile Umkreis in eine panische Flucht schlug.
Lirael sprang auf der anderen Seite vom Boot weg, so weit sie nur konnte, und landete zwischen den Binsen im Wasser. Sie watete hastig, um Abstand zu gewinnen. Der grauenvolle Schrei erklang erneut, und ein heftiges Platschen folgte. Einen Moment lang glaubte Lirael, Nick sei direkt hinter ihr; stattdessen spritzte das Wasser wild auf und Schilf flog in sämtliche Richtungen. Nick hatte das ganze Boot gepackt, hochgehoben und nach ihr geworfen. Wäre sie ein wenig langsamer gewesen, hätte das Boot sie getroffen.
Bevor Nick etwas anderes tun konnte, verdoppelte Lirael ihre Anstrengungen. Das Wasser war nicht so tief wie erwartet – es reichte ihr nur bis zur Brust –, doch es verlangsamte ihre Flucht, und jeden Augenblick rechnete sie damit, dass das Wesen sie packte oder mit einem neuen Bann belegte. Verzweifelt eilte sie ins seichtere Wasser, wobei sie sich mit Nehima einen Weg ins Schilf hieb, um schneller voranzukommen.
Sie blickte sich nicht um, so groß war die Panik, und sie hielt nicht an, selbst als sie sich tief ins Schilf verirrte und ihre Lungen und Muskeln bei jeder Bewegung schmerzten.
Schließlich zwang ein Krampf in der Seite sie
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