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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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seiner Jacke am Hals offen, als wäre ihm
heiß gewesen. Schwarzes Haar, schwarzer Schnurrbart, schwarz verkohlte Haut. Nur um die geschlossenen Augen herum ganz hell. Und sein Mund stand weit offen unter dem schwarzen Schnurrbart. Er sah aus, als hätte er sich totgelacht. Als wäre er mitten in einem wilden Lachanfall hinübergegangen. Oder in einem untröstlichen Schluchzen. Es konnte beides sein. Auch die Hand, leicht gekrümmt, als wolle er den Sand, auf dem sie lag, nehmen und durch die Finger rieseln lassen, verkohlt. Nur der Ehering glänzte. Ein schöner, schlichter, breiter Goldreif. Deswegen bin ich nähergetreten. Wegen des Glanzes. Die Zähne glänzten, und der Ehering glänzte. Aber wenigstens war er in einem Stück … Und da stand dieser Lazarettbus. Ausgebrannt. Man konnte den grünen Halbmond noch erkennen. Aber was heißt das im Gefecht. Ausgebrannt, der Bus. Die Scheiben zerplatzt, und alle saßen sie noch drin und schienen aus den Fenstern zu blicken. Starr und mit diesen ungeheuer weißen, gebleckten Gebissen, so weiß, weil die Gesichter verkohlt waren und die Lippen weggeschmort und die Nasen. So blickten sie da aus dem Lazarettbus hinaus, reglos. Aber wenigstens in einem Stück. Anders als der Rest Mensch, der plattgedrückt war, nur nicht sein Arm. Der Unterarm ragte hoch, und die in der Todesstarre steifen Finger waren gekrümmt, im Schmerzenskrampf erstarrt, und das Kinn ragte steil nach oben, als hätte er nach Luft geschnappt und -.
    Genug!, rief Hélène.
    Er sah sie verwirrt an.
    Genug! Bitte! Lassen Sie es genug sein! Ich kann es nicht mehr ertragen.

    Der Amerikaner schreckte auf wie aus dem Schlaf gerissen und blieb ruckartig stehen. Verzeihen Sie, stotterte er, verzeihen Sie … Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als müsse er sich den Schlaf aus den Augen reiben, und sagte dann: Warum tun Sie sich das an? Hélène, ich bin ein kranker Egomane! Ich mache Sie hier fertig mit diesen widerwärtigen - mit diesen -. Er wusste nicht weiter und sagte schließlich: mit diesen Sachen, dabei tragen Sie ein Kind aus! Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.
    Es ist schon gut. Hélène legte ihm flüchtig die Hand auf den Unterarm, um seine Selbstbezichtigungen zu stoppen. Dabei hatte er recht. Seit der Punktion hatte sie sich alle Hoffnung verboten, aber diesmal entwickelte sich etwas in ihrem Bauch. Sie wollte noch immer nicht daran glauben, um nicht ein weiteres Mal enttäuscht zu werden, und wusste doch zugleich, dass man sich selbst nicht überlisten kann. Jeden Tag hörte sie zitternd in sich hinein, und jeden Abend hakte sie einen weiteren Tag ab, ohne an das Glück des nächsten glauben zu wollen.
    Ich weiß nicht, ob ich etwas austrage, sagte sie. Aber das war gar nicht der Grund. Nein, ich gestehe Ihnen, ich mache mir keine Hoffnungen mehr. Dazu ist es zu oft schiefgegangen. Dann lächelte sie beschämt und errötete ein wenig. Das stimmt natürlich so nicht. Leider hoffe ich gegen meinen Willen trotzdem weiter.
    Aber Hélène. Hoffnung darf einem doch nicht peinlich sein! Für sein Hoffen darf man sich nicht schämen. Ich hoffe auch. Ich hoffe bis zum letzten Atemzug. Das ist ein Instinkt. Er zögerte, sagte dann: Und ein ungleich edlerer als der Überlebensinstinkt …
    Und wenn die Hoffnung dann enttäuscht wird …

    Ist es doch nicht Ihre Schuld!, rief er beschwörend. Wer zu hoffen aufhört, der ist in der Hölle.
    Vielleicht ist er auch nur einfach in der Welt angekommen, sagte sie.
    Sie gingen weiter. Es war früher Nachmittag, und die Sonne hatte die Wolken vertrieben. Hinter der Hecke des Puppentheaters war die krähende Stimme des Kaspers zu hören, dann hastige, klatschende Schlaggeräusche, ein ebenso rhythmisches Au-Au-Au und Kaskaden von Kindergelächter.
    Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Hélène?, sagte der Amerikaner.
    Sie nickte.
    Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken an eine Adoption gespielt?
    Sie gingen weiter, und sie schwieg, als habe sie die Frage nicht gehört.
    Ich meine …, sagte er vorsichtig.
    Doch, sagte sie schließlich. Doch, natürlich.
    Aber?
    Aber es ist sehr schwierig. Ein ungeheurer administrativer Aufwand. Anfragen, Kontrollen, Kosten. Sehr viel Frustration. Im Krankenhaus hat man uns auch davon abgeraten.
    Aber, sagte er zögernd, was Sie jetzt tun, ist doch auch nicht ganz einfach.
    Sie nickte. Sie waren am Ausgang des Parks angekommen. Wir haben Angst, dass wir ein adoptiertes Kind vielleicht nicht so lieb haben

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