Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
fürchten.
Der Traum, in den ich glitt, war angenehm ruhig. Ich lief über eine weite Wiese und versuchte ein silbrig-blaues Schimmern zu erreichen. Es war eine Gestalt. Eine hochgewachsene Gestalt, wie sie nur ein Mann haben konnte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen und je weiter ich ihm entgegen schritt umso weiter schien er sich von mir zu entfernen. Ich hatte das merkwürdige Gefühl ihn zu kennen. Als hätte ich nur seinen Namen vergessen und würde darauf warten, dass er mir wieder einfiel. Es beunruhigte mich nicht, dass ich seinen Namen nicht kannte. Es schien mir nicht wichtig zu sein. Ich ging immer weiter auf ihn zu. Streckte meine Hand in seine Richtung aus und versuchte, damit die Distanz zwischen uns zu überbrücken. Es gelang mir nicht. Allmählich veränderte sich mein Traum in einen verunsichernden Albtraum. Ich fühlte mich wieder, als würde ich im Innern auseinander gerissen. Egal wie schnell ich lief, ich konnte ihn einfach nicht erreichen. Seine schimmernde Gestalt rückte immer weiter in die Schatten der dunklen Bäume.
»Warte!«, hörte ich meine eigene Stimme ihm entgegen rufen. Ich lief immer schneller, bis ich beinahe rannte.
»Janlan, nicht!«
Es war eine Stimme, die ich in diesem Traum nicht erwartet hatte. Ich erstarrte inmitten meines Rennens und schnellte herum. Auf der anderen Seite der Wiese - der Seite, auf der ich die ganze Zeit gewesen war - erschien eine zweite silbrig-blaue Gestalt. Sie war zierlicher und hatte einen zarteren Körper. Langes Haar wellte über ihren Rücken und wurde von einem nicht spürbaren Wind gewiegt.
»Keira!«, wieder sprach ich, ohne es direkt zu steuern.
»Janlan, geh nicht weiter.«
Wie versteinert stand ich zwischen den zwei silbrigen Gestalten und wusste nicht, in welche Richtung ich mich wenden sollte. Vor mir stand ein Mann, dessen Name ich nicht wusste, aber nach dessen Gegenwart ich mich fühlbar sehnte. Hinter mir stand meine Freundin. Meine Freundin, die meine Familie war.
»Keira, was ist hier los? Warum bist du…«
Ich brachte es nicht über mich, die Frage zu Ende zu stellen. Die Gestalt vor mir zuckte mit den Schultern.
»Es ließ sich nicht vermeiden.«
Ich starrte ungläubig in ihre Augen. Sie hatten nicht den gewohnten braun-grünen Ton, sondern wie alles an ihr einen silbrig-blauen.
»Was meinst du damit? Es ließ sich nicht vermeiden? Ich würde nie zulassen, dass du zum Seelengeist wirst!«
Ich war entsetzt, dass sie das auch nur in einem Traum sagen konnte.
»Du hast es ja auch noch nicht zugelassen, aber du musst.«
Ich erschauderte, als Keiras Gestalt immer blasser wurde.
»Keira, was passiert hier? Keira!«
Sie hob ihre Arme als wollte sie mich umarmen. Ich rannte zu ihr, wollte nicht zulassen, dass meine Freundin verschwand. Der Mann in meinem Rücken flüsterte meinen Namen. Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und erfüllte jeden Zentimeter meines Körpers mit einer Hingabe, die ich nie zuvor gefühlt hatte. Ich warf ihm nur einen kurzen Blick zu und wünschte mir sein Gesicht erkennen zu können, dann sah ich wieder zu Keira. Ihre Gestalt war noch durchsichtiger geworden. Nur noch ihre Umrisse schienen sich mühsam gegen den Wald abzuheben.
»Keira!«
Ich rannte weiter auf sie zu, wollte ihre Gestalt festhalten und sie irgendwie zurückholen.
»Janlan, es ist in Ordnung. Ich verlasse dich nicht.«
Ich glaubte ihr nicht. Sie verschwand doch gerade vor meinen Augen.
»Keira!«
Sie war weg. Nicht einmal der kleinste, dünnste Schimmer ihrer silbrig-blauen Gestalt war zurückgeblieben. Ich sah mich nach dem Mann um, auch er war fort. Ich war alleine. Ich stand alleine inmitten einer großen Wiese, die von allen Seiten von dunklen Bäumen umzingelt war. Ich fühlte mich, als würden die Bäume nach und nach jeden Zentimeter der Wiese in ein tiefes schwarzes Loch ziehen. Immer mehr der Landschaft um mich herum verlor sich im Schwarz, bis nur noch ich übrig blieb. Ich stand inmitten von Nichts. Das bedrückende Gefühl zwang mich in die Knie.
»Keira…«, wimmerte ich in die allumfassende Finsternis.
»Keira!«
Zwei Hände packten mich an meinen Schultern und schüttelten mich, bis ich meine Augen aufschlug. Ich sah in Keiras Gesicht, das besorgt über mich gebeugt war.
»Janlan, ich bin doch hier. Was ist denn? Hast du einen Anfall?«
Ohne ihr zu antworten, stürzte ich mich auf sie und schloss meine Freundin in die Arme. Ich musste mich überzeugen, dass dies kein weiterer Traum
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