Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
Belastung empfunden, aber niemals zuvor als Verantwortung.
Sie sammelte ihre Macht und schleuderte sie mit voller Wucht nach vorn, um die Schatten weit genug zurückzutreiben, dass sie die dunkle Linie zwischen Pavane und dem Anhänger sehen konnte. Sie konzentrierte sich, riss den Arm hoch und stieß den Dolch mit aller Kraft nach unten.
Die Tatsache, dass das Band ein magisch erzeugtes Phantasiegebilde war, machte es nicht weniger real – unnachgiebig, Funken schlagend, verdammt stabil. Als die Klinge auf die Linie traf, klang ein schriller Ton durch die Nacht, und ein zehntausend Volt starker, sehr realer Schmerz schoss durch ihren Arm. Der pure Schlag ließ sie stolpern; der reine Schmerz fuhr ihr in die Schulter, wo er anfing, das Gelenk zu zerstören, Knochen für Knochen, Sehne für Sehne. Zumindest fühlte es sich so an. Unendliche, lähmende Qualen.
Sie wollte weinen und fluchte stattdessen.
Immer noch mit einer Hand an der Schulter beugte sie sich vor, um nach dem Zeremoniendolch zu suchen. Die Schatten, die sich aus dem Nichts ergossen, waren inzwischen so dicht, dass sie ihre eigenen Füße nicht mehr sehen konnte, also ging sie in die Hocke und tastete den Boden danach ab.
»Du kannst das nicht.«
Eve erstarrte. Sie war sich nicht sicher, ob diese heimtückische Stimme von irgendwo da draußen kam oder aus ihrem eigenen Kopf. Die Botschaft war unmissverständlich. Aber war es wahr?
Vielleicht konnte sie es wirklich nicht.
Sie hatte keine Ausbildung. Keine Erfahrung. Sie kannte nicht einmal alle Regeln. Was zur Hölle hatte sie glauben lassen, sie könnte das durchziehen? Vielleicht war das unerschütterliche Selbstvertrauen, das sie empfand, seit sie den Anhänger umgelegt hatte, genauso eingebildet wie diese dunkle Linie … nur nicht so undurchdringlich. Denn jetzt, im schlimmstmöglichen Moment, hatte sie ihr Selbstvertrauen verloren.
Sie richtete sich auf.
Vielleicht konnte sie es nicht.
Noch bevor sich der Kloß in ihrem Hals bilden konnte, war Hazard an ihrer Seite, sein Körper so nah an ihrem, dass nicht einmal die Schatten dazwischen Platz fanden. Er beugte sich zu ihr herab und legte seinen Mund an ihr Ohr.
»Du kannst das«, sagte er mit tiefer, fester Stimme. »Du bist die erstaunlichste Frau, die ich jemals getroffen habe. Nicht, weil ich dich liebe, sondern weil es so ist. Du kannst das. Du bist dafür geboren. Und mir war es immer bestimmt, an deiner Seite zu stehen, wenn du es vollbringst.«
Er hob den Kopf und suchte ihre Augen, und sein Blick war vollkommen offen, als er ihr den Dolch in die Hand drückte.
»Beende es jetzt«, sagte er.
Eves Finger schlossen sich um den Griff. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung drehte sie sich um und hob den Arm. In diesem Moment dachte sie nur an das, was sie vorhatte, und als sie die Klinge nach unten führte, streckte Hazard den Arm aus und legte seine Hand auf ihre, so dass sie sich zusammen bewegten, als wären sie eins.
Wieder erklang das kreischende Geräusch, als die Klinge auf die Linie traf, doch diesmal hörten sie Pavanes wütendes Brüllen, als seine einzige Verbindung zu dieser Welt zerstört wurde.
Eves Blut sang, als sie eine Welle der Macht verspürte, die reiner und stärker war als alles zuvor. Sie warf den Kopf zurück, verschränkte ihre Finger um den Griff des Dolches mit Hazards, sammelte diese unendliche Macht und setzte sie ein, um das Böse, Dunkle in Pavane und all das Böse, Dunkle, das er in diese Welt gezogen hatte, gegen ihn zu richten.
Sein Verschwinden war eine Umkehrung seiner Ankunft in dieser Welt und ging genauso schnell. Er fing an zu verblassen und die Form zu verlieren, bis er nur noch eine weiche Säule war, dann Staub und dann nichts mehr. Er und die dunklen Schatten, die aus ihm gedrungen waren, verschwanden in einer kleinen, funkenerfüllten Rauchwolke. Für ein paar Sekunden verweilten die Funken in der Luft, bis auch sie verglühten.
Es folgte ein kurzer Moment der Stille, dann jubelte Rory, und von Gran erklang ein lautes »Den Heiligen sei gedankt«. Aber Eve drehte sich zuerst zu Hazard um.
Er war erschöpft, sein Gesicht ausgezehrt und bleich. Trotzdem gelang es ihm, sie mit einem Blick anzusehen, der ihr das Gefühl gab, in der strahlenden Sonne zu stehen und nicht im Licht des silbrig weißen Mondes. »Du hast es geschafft.«
»Wir haben es geschafft«, verbesserte sie ihn und schüttelte erstaunt den Kopf, als sie rekapitulierte, was gerade passiert war. Mehr als
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