Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
Ruf als Hexe lieferte den Medien und der Öffentlichkeit viele skandalöse Details. Gerüchte und Halbwahrheiten von anonymen Quellen wurden verdreht, aufgebauscht und mit vagen Andeutungen auf schwarze Messen und Tieropfer unterfüttert. Als der Brandinspektor in seinem Abschlussbericht erklärte, das Feuer sei von Kerzen ausgelöst worden, die unbeaufsichtigt im Turmzimmer gebrannt hätten, wurde selbstverständlich angenommen, dass Gran die Schuld trug. Man munkelte von einer verkohlten Kristallkugel und einem silbernen Pentagramm, das in den Ruinen entdeckt worden war. Das bot Stoff für die wüstesten Mutmaßungen, was sie in dieser Nacht getrieben haben mochte.
Gran stand über all dem. Weder leugnete sie noch kommentierte sie die Gerüchte, und sie führte auch keinen Kampf ums Sorgerecht, der weitere schmerzhafte Publicity hervorgerufen und die schwere Zeit für Eve und Chloe nur verlängert hätte. Stattdessen begnügte sie sich mit gelegentlichen Besuchen bei ihren geliebten Enkelinnen, und erst Jahre später erfuhr Eve von den Opfern, die sie gebracht hatte.
Eve war schon mit dem College fertig und lebte in New York, als Chloe sie anrief, um ihr zu sagen, dass sie schwanger war. Eve hatte gerade ein renommiertes Stipendium für das Studium der internationalen Politik erhalten. Es war der nächste Schritt auf ihrem sorgfältig geplanten Weg zur Auslandskorrespondentin. Es war eine berauschende Zeit, in der es schien, als würde alles in ihrem Leben einfach perfekt laufen.
Ihre erste Reaktion auf Chloes Nachricht war, nach Hause zu fahren und zu versuchen, einen Kompromiss auszuhandeln. Sie diskutierte mit ihren Großeltern und flehte sie an, aber ihre Großeltern blieben hart und ihre Schwester ebensfalls. Mehr als einmal wollte Eve dem Ganzen einfach nur den Rücken kehren. Sie wollte zurück nach New York, wo ihr echtes Leben mit einer echten Zukunft auf sie wartete, mit der Zukunft ihrer Träume, für die sie hart gearbeitet hatte. Sie tat es nicht, weil sie, wenn sie all die Streitereien und Drohungen und Vorwürfe beiseiteließ und auf ihr Herz hörte, eins sicher wusste: Chloe brauchte sie. Und das kam für sie an erster Stelle.
In der Nacht, als ihre Eltern gestorben waren, hatten Chloe und sie in einem Bett geschlafen. Unter der Decke hatten sie ihre kleinen Finger verhakt und sich geschworen, dass sie immer füreinander da sein würden, egal, was kommen sollte. Es war ein kindlicher Schwur, von Kindern ausgesprochen, die verzweifelt nach Trost und Sicherheit suchten. Aber Eve hatte jedes Wort ernst gemeint. Es war nicht nur ein Gefühl der Verpflichtung, das sie nach Hause gerufen hatte, um Chloe beizustehen. Sie wollte für ihre Schwester da sein. Egal, was es sie kostete.
Sie war noch einmal kurz nach New York gefahren, um die Dinge dort in Ordnung zu bringen. Eve hatte mitgenommen, was sie konnte, sich vom Rest verabschiedet und war weitergezogen. Als sie zurück nach Providence kam, hatte sie Gran angerufen, erzählte ihr von ihrer Idee, und dann taten sich die drei – Gran und Chloe und sie – zusammen und hatten besagte Regelung getroffen, die seitdem recht gut funktionierte.
»Ich weiß, dass du alles tun würdest, um Chloe zu helfen, und dass du Rory liebst, als wäre sie dein eigenes Kind«, sagte Gran gerade. »Aber ein so enger Terminplan, wie du ihn hast, verlangt dem Körper seinen Preis ab. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis so etwas geschehen musste.«
Eve sprang erschrocken auf und ignorierte die Kälte an ihren Schultern, als der Schal herunterrutschte. »So etwas? Was willst du damit sagen? Dass noch mehr in dieser Art passieren kann?«
»Ich sage ja nur, dass, wenn die körpereigene Abwehr schwach ist …«
Eve fiel ihr ins Wort. »Meine Abwehr ist nicht schwach. Wenn es um Magie geht, bin ich verdammt widerstandsfähig … ich bin genauso widerstandsfähig wie immer.«
»Wenn du meinst«, antwortete Gran, aber ihr zweifelnder Ton sagte etwas völlig anderes.
Eve verschränkte die Arme, weil sie einfach nicht wollte, dass Gran recht hatte. »Ich weiß, was du denkst. Du glaubst, dass es schon bewiesen ist. Dass das heute Nacht passiert ist, weil ich irgendwie meine Schutzschilde gesenkt habe und dass es wieder passieren wird, wenn ich nicht mehr Schlaf bekomme und meine Vitamintabletten schlucke.«
»Oh, ich glaube nicht, dass Vitamine etwas damit zu tun haben. Und eigentlich habe ich gerade darüber nachgedacht, dass du eine seltsame Beule im
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