Das Amulett
plötzlich inne, und sein Blick schweifte in die Ferne.
»Gordan?«, fragte Tharador besorgt.
»Malvner«, hauchte der alte Magier tonlos. Dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. »Malvner Wibran. Du alter Fuchs.« Er wandte sich wieder Tharador zu, der ihn verdutzt anstarrte.
»Kommt mit hinaus!«, forderte Gordan sie beinah euphorisch auf.
Auf dem Vorplatz erwartete sie das gewohnte Stadtbild; zunächst konnte sich niemand erklären, was Gordan gemeint hatte.
»Schaut zum Arkanum«, forderte der Magier sie auf.
Tharador blickte zu dem Obelisken aus Obsidian. Um den Turm begannen sich Wolken zu formen, die sich spiralförmig um dessen Spitze legten. Aus der Mitte der Wolkendecke fiel ein Lichtstrahl auf den Turm und spiegelte sich an dessen glatten Wänden. Als Tharador eingehender hinsah, bemerkte er, dass jenes Licht nicht aus den Wolken hervorbrach. Vielmehr bildete sich am Fuß des Arkanums ein Wirbel aus kleinen Lichtpunkten. Die Luft begann zu vibrieren. Ein dichter Nebel entstand. Die Wolke nahm die Form einer menschengroßen Gestalt an, und Tharador löste erschrocken den Blick von dem Schauspiel. Es war ihm vertraut: Gordan war ihm vor nicht allzu langer Zeit auf diese Weise zu Hilfe geeilt und hatte ihn und Khalldeg in den Minen unter den Todfelsen vor Xandor gerettet. Als seine Augen nun die des alten Magiers trafen, sagte Gordan ungerührt: »Dieser hier ist ein Freund von mir, doch es werden auch andere kommen, Tharador. Ich kann euch nicht begleiten. Meine Gegenwart stellt ein hohes Risiko dar.«
Sie traten näher an den Lichtwirbel heran. Auch einige Orks versammelten sich, um das seltsame Schauspiel zu bestaunen. Dabei erkannte Tharador erneut, wie ähnlich sich Orks und Menschen doch waren. Die meisten der Orks waren unbewaffnet, es sei denn, man zählte Harken und Sensen als Waffen. Das Bild entsprach überhaupt nicht den Vorstellungen, die Tharador in der Vergangenheit von diesem vermeintlich blutrünstigen Volk gehabt hatte.
Als der Nebel sich vollständig verfestigt hatte, gab er den Blick auf einen Jüngling frei, der mit verängstigter Miene auf dem Boden kauerte und sie aus von Tränen verquollenen Augen anblickte.
»Der soll ein Freund von dir sein?«, fragte Khalldeg ungläubig.
»Mitnichten«, erwiderte Gordan knapp. Dann trat er an den Jungen. »Wer bist du?«
»Mein Meister ...«, schluchzte der Fremde, und frische Tränen rannen über sein Gesicht. »Mein Meister!« Er begann zu heulen, bis er am ganzen Körper zitterte.
»Junge!«, versuchte Gordan die Aufmerksamkeit des Fremden zu erlangen. »Was ist geschehen? Wieso habe ich Malvners Aura gespürt, obwohl nun du vor mir stehst?«
»Tot!«, schrie der Junge mit gequälter Stimme. »Ein Feuer! Mein Meister ... tot!«
»Herrje, das ist ja schlimmer als das Gebrabbel eines besoffenen Orks!«, schnaubte Khalldeg und wurde sich sogleich der zahlreichen stirnrunzelnden Blicke gewahr, die sich auf ihn hefteten. »Nichts für ungut, Jungs«, brachte er mit einem verlegenen Grinsen hervor.
»Malvner ist tot?«, schloss Gordan aus dem Gestammel des Jungens.
»Ja«, brachte der Bursche unter fortwährendem Schluchzen heraus.
Gordan warf Tharador einen ernsten Blick zu: »Es hat bereits begonnen. Ein Krieg der Magier.«
Calissa trat vor den Jungen und brachte ihn so dazu, sie anzusehen. »Wie heißt du? Wer hat das getan?«
Tharador wusste nicht, ob es an ihrer sanften Stimme lag, oder ob der Junge auf sie reagierte, weil sie eine hübsche Frau war, doch sein Blick klärte sich ein wenig, und er sah sie fast Hilfe suchend an.
»Gordan«, stammelte er unvermittelt. »Ich muss Gordan finden.«
»Dann ist heute dein Glückstag, Junge«, sagte Khalldeg. »Er steht genau vor dir«, fuhr er fort und deutete auf den alten Magier.
Das Gemüt des Jungen schwang so plötzlich um, wie er in Surdan aufgetaucht war. Er sprang auf die Beine; unbändiger Zorn funkelte in seinen Augen.
»Mörder!«, brüllte er laut, und seine Stimme nahm plötzlich einen bedrohlichen, tiefen Klang an, der in völligem Gegensatz zu seiner hellen Jungenstimme stand.
Der Fremde reckte den rechten Arm in die Luft. Die Luft um ihn herum begann augenblicklich zu knistern und zu flimmern. Tharador nahm einen seltsamen Geruch wahr, wie unmittelbar vor einem Gewitter. Über dem Arkanum zogen sich dunkle Wolken zusammen, deren schweres Grau nur von gelegentlichen Blitzen erhellt wurde, die zwischen Wolken hin und her sprangen.
»Zur Seite!«, brüllte
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