Das andere Kind
dabei
sein!« Am Ende des Briefs erwähnte er, dass seine Mutter erneut schwer erkrankt sei. »Husten,
Fieber, und sie sieht wirklich sehr elend aus. Das kalte, feuchte Wetter ist nichts für sie,
aber für einen Aufenthalt im Süden fehlt uns das Geld, und die Zeiten sind auch nicht danach.
Die Kanalinseln wären vielleicht nicht schlecht, aber da sitzt Hitlers Pack. Außerdem - wie
sollten wir hier zurechtkommen ohne sie?«
Kurz musste ich an Nobody denken. Wer kümmerte sich um ihn, wenn Emma womöglich wieder
wochenlang das Bett hüten musste? Vielleicht brachten sie ihn nun endlich in ein Heim. Es wäre
das Beste für alle gewesen.
Weihnachten hielt eine besondere Überraschung bereit. Nach der Bescherung am Weihnachtsmorgen
-ich hatte hauptsächlich praktische Dinge bekommen, wie Schal, Mütze und Handschuhe -eröffnete
mir Mum, dass ich im Juli ein Geschwisterchen bekäme.
»Ein Brüderchen«, warf Harold ein, der auf dem Sofa saß und zur Feier des Tages seinen ersten
Schnaps schon um neun Uhr morgens zu sich nahm.
»Das wissen wir doch gar nicht«, meinte Mum.
»Ich weiß das«, beharrte Harold, »es wird ein Junge. Wirst schon sehen!« »Na? Freust du dich?«,
fragte mich Mum. »Im Juli«, sagte ich gedehnt. »Dann hat es vielleicht am selben
Tag Geburtstag wie ich.« Es fehlte noch, dass Harolds Sohn, der wahrscheinlich ganz und gar
seinem Vater nachschlagen würde, mir meinen Geburtstag streitig machte.
»Bestimmt nicht«, meinte Mum. »Der Arzt sagt, Anfang Juli. Vielleicht schon Ende Juni. Ihr
kommt einander bestimmt nicht in die Quere.« Ihre Augen leuchteten, und ihre Gesichtszüge waren
weich. Sie freute sich tatsächlich, von diesem rotgesichtigen Alkoholiker ein Kind zu
bekommen!
Mir fiel noch etwas ein. »Hier ist doch gar kein Platz für eine weitere Person! Das wird viel
zu eng!« Vielleicht, so hoffte ich, würden sie jetzt endlich die Notwendigkeit einsehen, mich
nach Staintondale zurückzuschicken.
Mum schien dieser Gedanke jedoch nicht zu kommen. »Das erste Jahr schläft er bei Harold und mir
im Zimmer. Und dann kann man weitersehen. Vielleicht finden wir ja eine etwas größere
Wohnung.«
»Klar finden wir die«, tönte Harold, und ich hätte ihn gern gefragt, wovon er die höhere Miete
bezahlen wollte, wenn er den größten Teil seines Lohns weiterhin so konsequent in Alkohol
umzusetzen gedachte, aber ich verbiss es mir. Es war Weihnachten. Ich wollte diesen Tag nicht
für uns alle verderben.
Wir hätten uns weder um den Geburtstermin noch um die Zimmerfrage Gedanken machen müssen, denn
die ganze Sache endete in einem Drama.
Ende Februar stürzte Mum ganz unglücklich auf der vereisten Straße vor unserem Haus. Sie
schleppte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach oben in unsere Wohnung, sank dort auf das
Sofa und jammerte leise vor sich hin. Ich kochte Tee für sie, aber sie nahm nur ein paar wenige
Schlucke.
»Es tut so weh, Fiona«, flüsterte sie, »es tut so weh!«
»Mum, wir sollten einen Arzt holen!«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Der jagt mir nur Angst ein. Ich muss bloß ein wenig ruhig
liegen, dann kommt alles in Ordnung.«
Tatsächlich wurden ihre Schmerzen aber offenbar schlimmer, denn sie jammerte immer lauter und
presste beide Hände auf ihren Unterleib. Ich machte mir langsam große Sorgen. Bis auf einen
gelegentlichen Schnupfen war meine Mutter nie krank gewesen, ich kannte sie nur tatkräftig und
gesund. Jetzt war sie gelblich-weiß im Gesicht, hatte völlig blutleere Lippen und wand sich
verzweifelt hin und her. Als sie irgendwann mühsam aufstand, um ein paar Schritte zu laufen,
weil sie hoffte, dies würde sie entkrampfen, entdeckte ich einen großen roten Fleck auf dem
hellen Sofa.
»Mum, du blutest«, sagte ich erschrocken.
Sie starrte den Fleck an. »Ich weiß. Aber ... das kommt vor ... das muss noch nichts bedeuten
... «
»Lass mich doch endlich einen Arzt holen!«, flehte ich. Obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, fuhr sie mich an: »Nein! Auf
keinen Fall! Untersteh dich!«
»Warum denn nicht, Mum? Ich ... « Sie presste die Lippen aufeinander, stieß
dann ein »Nein!« hervor, schlurfte zum Sofa zurück und ließ sich mühsam darauf nieder. Ich war verzweifelt.
Ich verstand einfach nicht, weshalb sie sich so heftig gegen einen Arzt sträubte. Sie hatte
Schmerzen, sie verlor sehr viel Blut ... Glaubte sie ernsthaft, das würde sich alles einfach so
in Wohlgefallen aufläsen? Ich war zu
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