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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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von dem Bus mitgenommen zu werden, und glücklicherweise traf er
    einigermaßen pünktlich ein. Eine knappe Dreiviertelstunde später stieg Jennifer mitten in
    Scarborough an der Haltestelle Qyeen Street aus, und von dort war es nicht weit bis zur
    Friargate Road, wo Dave wohnte. Trotzdem fühlte sich Jennifer völlig erschlagen, als sie
    endlich vor dem kleinen Reihenhaus stand.
    Die Wirtin öffnete ihr nach zweimaligem Klingeln und sah sie misstrauisch an.
    »Ja?«
    »Guten Tag. Mein Name ist Jennifer Brankley. Ist Dave Tanner zu Hause?« Bei der Erwähnung des
    Namens Tanner versteinerte das Gesicht der älteren Frau noch mehr.
    »Wer sind Sie denn?«, fragte sie.
    »Jennifer Brankley. Eine Freundin von Gwen Beckett. Der Verlobten von Mr. Tanner.« »Mr. Tanner
    ist nicht zu Hause.«
    Fast unwillkürlich spähte Jennifer an der Alten vorbei in den dunklen Flur. »Nein?« »Hören Sie,
    ich war oben, er ist nicht da. Seine Jacke hängt auch nicht hier unten an der Garderobe. Er ist
    weg.« »Wissen Sie, ob er heute Nacht daheim war?«
    Die Wirtin starrte sie nun wütend an. »Ich weiß das nicht, Mrs. Brankley, keine Ahnung! Und
    wissen Sie, warum nicht? Weil ich keine Nacht mehr in meinem eigenen Haus schlafen kann! Ich
    werde meinen Nachbarn schon lästig, weil ich dauernd darum bitte, von irgendjemandem
    aufgenommen zu werden, aber ich bekomme Panik, wenn ich mit diesem Typen unter einem Dach
    schlafen soll. Ich kriege kein Auge zu! Ich meine, der Kerl hat womöglich zwei Morde auf dem
    Gewissen, und ich habe, verdammt noch mal, keine Lust, das dritte Opfer zu sein!«
    »Wie kommen Sie darauf, dass er zwei Morde auf dem Gewissen hat?«, fragte Jennifer, überrascht
    von der Sicherheit, mit der die Alte ihre Behauptung aufstellte.
    »Na, ich kann ja wohl eins und eins zusammenzählen! Die Polizei war schließlich hier. Die haben
    nachgefragt wegen des Abends, an dem Fiona Barnes ermordet wurde, und wegen des Abends, an dem
    die kleine Studentin abgemurkst worden ist. So! Und in beiden Fällen wollten sie wissen, ob Mr.
    Tanner daheim war. Ich bin nicht blöd. Die glauben, er ist ein Killer, bloß können sie ihm
    nichts nachweisen. Und so geht es ja heutzutage, die größten Verbrecher lässt man frei
    herumlaufen, weil man sie ohne Beweise angeblich nicht einsperren kann, aber was dann aus
    anderen unschuldigen Menschen wird, das ist den Politikern ganz gleichgültig!«
    »Dann wissen Sie natürlich auch nicht, ob Miss Beckett heute Nacht bei Mr. Tanner war?«, fuhr
    Jennifer fort, denn diese Frage interessierte sie für den Moment weit mehr als der Austausch
    weltanschaulicher Betrachtungen.
    »Natürlich weiß ich das nicht!«, schnaubte die Wirtin, »und ich sage Ihnen noch etwas: In
    Zukunft muss ich das auch gar nicht wissen! Ich habe Mr. Tanner gekündigt. Zum ersten November
    sitzt er auf der Straße, und dann wird mir weiß Gott wohler zumute sein!«
    Mit diesen Worten schloss sie krachend die Haustür, und Jennifer stand verdattert im Nebel und
    starrte an der Fassade des Hauses hoch, als hege sie die Hoffnung, dort einen Hinweis zu
    finden. Sie wusste ja nicht einmal, welches der Fenster zu Daves Zimmer gehörte, und ob es
    überhaupt zur Straße hinausging. Deprimiert verließ sie über den kurzen Plattenweg und die
    wenigen Stufen das Grundstück. Dieser Besuch hatte nichts gebracht, überhaupt nichts. Tanner
    nicht daheim - sie nahm nicht an, dass die Wirtin in diesem Punkt log -, und weiterhin keine
    Spur von Gwen.
    Sie hatte ein ungutes Gefühl. Sie fragte sich nur, ob es gerechtfertigt war.
    Am liebsten wäre sie zur Farm zurückgekehrt, aber sie glaubte irgendwie, dass dies einer
    Niederlage gleichkäme. Sie fuhr in die Stadt, aber jedem wäre sofort klar, dass sie bloß nach
    Gwen geschaut und dann auf dem Absatz wieder kehrtgemacht hatte. Vielleicht sollte sie die
    Gelegenheit nutzen und wirklich etwas unternehmen, das ihr Dasein als Einsiedlerin ein wenig
    auflockerte. Sie könnte tun, was sie Colin gegenüber angekündigt hatte: ausgiebig durch die
    Stadt bummeln, sich vielleicht sogar allein in ein Cafe setzen und etwas trinken. Eine Lappalie
    für die meisten. Für sie ein großer Schritt. Sie schlenderte eine Weile in den Gängen unter der
    Markthalle herum. Hier war es warm und trocken. Sie betrachtete Kitsch und Kunst in den
    winzigen, von Waren überquellenden Geschäften, stöberte in einem Antiquariat herum, blätterte
    durch alte Postkarten und bewunderte ein Teeservice, das als

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