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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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aufgekreuzt. Sie hätte
    nicht hier sein sollen. Gwen mochte martialisch auftreten, war aber im Innersten unschlüssig,
    was sie nun tatsächlich tun sollte. Darin witterte Leslie eine Chance, machte sich aber nichts
    vor: Gwens Unsicherheit, wie sie mit der Situation verfahren sollte, mochte in Überforderung
    umschlagen, und dann war es nicht weit bis zu einer Kurzschlusshandlung.
    Rede mit ihr, das war das Einzige, was ihr einfiel. »Woher hast du die Waffe?«, fragte
    sie.
    »Der Armeerevolver meines Vaters. Er hatte ihn im Krieg. Lange her, aber wenn du wissen willst,
    ob er noch funktioniert, musst du dir bloß Chad nebenan anschauen. Und Dave in der Bucht
    unten.«
    Leslie fiel eine Passage aus den Berichten ihrer Großmutter ein: Irgendwann einmal hatte sie
    Chads Kriegswaffe im Regal des Arbeitszimmers gefunden und daraufhin versucht, mit ihm über
    seine Erlebnisse an der Front zu sprechen, womit sie gescheitert war. Vermutlich war die Waffe
    auch später dort liegen geblieben. All die Jahre hindurch. Denn welchen Grund mochte Chad
    gesehen haben, sie sicherer zu verwahren?
    »Du hast ... schießen geübt?«, fragte sie. »Ich dachte, wer weiß, wann ich das mal brauche«,
    sagte Gwen leichthin. »Und irgendwie hatte ich tatsächlich den richtigen Riecher. Ich kann es
    jetzt wirklich gut brauchen.« »Gwen ... «
    »Eigentlich wollte ich auch Fiona erschießen. Aber nachdem alle Welt von dem Mord an dieser
    Studentin sprach, dachte ich, ich stifte ein wenig mehr Verwirrung, wenn ich Fiona auf eine
    ähnliche Art umbringe, wie es mit dem armen Ding passiert ist. Das war schlau, oder? Ich hätte
    mich totlachen können, als ich diese unfähige Beamtin hier herumüberlegen hörte, wo die
    Verbindung zwischen der alten Fiona und dem jungen Mädchen liegen könnte.«
    »Du hast dich sehr verändert, Gwen«, sagte Leslie und dachte, wie grotesk selbst in ihren
    eigenen Ohren dieser Satz klang. Als hätte sich Gwen einfach eine neue Frisur zugelegt oder
    etliche Kilo abgenommen oder etwas Ähnliches. Stattdessen war sie zur Serienkillerin mutiert.
    Gwen mit ihren geblümten Baumwollröcken, der Leidenschaft für kitschige Liebesromane, dem
    ängstlichen Festhalten an einem zurückgezogenen Leben auf einer einsamen Farm ... Sie war
    hingegangen und hatte sich selbst an der uralten Armeewaffe ihres Vaters zur treffsicheren
    Schützin ausgebildet, hatte sich Munition besorgt, hatte Pläne geschmiedet. Hatte Fionas Briefe
    an Chad gefunden und die Chance erkannt, daraus ein Motiv für einen Mord an Fiona und Chad zu
    konstruieren. Hatte die Briefe offenbar gezielt verbreitet. Nicht aus Unbedarftheit, wie alle
    vermutet hatten.
    »Hast du Dave zu Semira geschickt?«, fragte sie. »Um den Verdacht auf ihn zu
    lenken? «
    »War er bei der Newton? Hab ich mir fast gedacht, dass er das tun würde.
    Ich habe ihn nicht zu ihr geschickt, nein, aber ich hatte schon bemerkt, wie neugierig er
    geworden war, und ich dachte mir, jede Wette, er sucht die Newton auf! Als ich vor zwei Tagen
    bei ihm war, habe ich ihm einen zweiten Ausdruck der Dateien gegeben. Er hat das alles noch in
    der Nacht gelesen, froh, etwas zu haben, wohinter er sich verstecken konnte, um nicht mit mir
    ins Bett gehen zu müssen. Meine Planung war ein wenig aus der Reihe geraten. Dave sollte zuerst
    vo n der Somerville-Geschichte erfah ren,
    danach sollte Fiona sterben. Aber nach dem Streit damals vor euer aller Augen und Ohren war die
    Gelegenheit zu günstig. Ich hörte oben an der Treppe, dass sie dem Taxi entgegengehen wollte.
    Ich begriff, dass es eine einmalige Gelegenheit war. Ich bin ihr gefolgt und ... na ja, es war
    dann ganz einfach. Ich hatte den Revolver dabei, mit dem habe ich sie gezwungen, ein gutes
    Stück den Fußpfad entlangzugehen. Als wir weit genug von der Straße weg waren, habe ich einen
    Stein genommen und ihn ihr auf den Kopf geschlagen. Und wieder. Und wieder. Bis sie sich nicht
    mehr rührte. Den Stein habe ich einen Tag später von den Klippen aus ins Meer
    geworfen.«
    Leslie kämpfte das Schwindelgefühl nieder, das sie befiel. Welcher Art Mensch stand sie hier
    gegenüber? Und wie hatte sie sich jahrelang so vollständig in ihr täuschen können? »Dann hat
    Jennifer gelogen, als sie aussagte, du seist mit ihr und den Hunden weg gewesen?«
    »Die gute, alte Jennifer. Sie hatte Angst, ich könnte in Verdacht geraten, daher wollte sie
    vorbauen. Sie hat ein echtes Helfersyndrom. Sie kann einfach nicht anders. Nun, mir konnte

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