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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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gesagt
    hat, dass er Schluss macht ... «
    » ... geht das Leben für Gwen trotzdem irgendwie weiter«, sagte Colin
    ungeduldig. »Jennifer, jeder von uns hat eine solche Situation irgendwann einmal aushalten
    müssen. Wir dachten, die Welt geht unter, und hinterher stellten wir fest, dass sie sich noch ganz zuverlässig und stabil weiterdrehte. Gwen wird das auch
    feststellen.« Sie sah ihn noch immer nicht an. »Ich mache mir keine Sorgen um
    Gwen«, sagte sie dann langsam.
    Colin runzelte die Stirn. »Sondern?«
    Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Er sah, dass sie leichenblass geworden war.
    »Ich mache mir Sorgen um Dave Tanner«, sagte sie.
    Das Telefon hatte mehrmals geklingelt, aber als Leslie beim ersten Läuten reflexartig mit der
    Hand gezuckt hatte, war Gwen sofort mit scharfer Stimme dazwischengefahren. »Nein! Du lässt den
    Hörer liegen! Niemand daheim!«
    Sie standen einander in dem kleinen Zimmer gegenüber, Leslie neben dem Schreibtisch, Gwen in
    der Tür. Die Deckenlampe leuchtete hell, der Computer summte noch immer. Es hätte eine ganz
    gewöhnliche Situation sein können, zwei Frauen in einem Arbeitszimmer am Ende eines Tages hätte
    nicht eine der Frauen einen Revolver in der Hand gehalten und ihn auf die andere
    gerichtet.
    Es ist ein Albtraum, dachte Leslie, ein absurder Albtraum.
    Sie versuchte zu begreifen, was überhaupt geschehen war, aber sie kam sich
    vor wie jemand, der irgendwann im Verlauf eines Gesprächs den Faden verloren hat und sich
    plötzlich einer Wendung gegenübersieht, die zu verstehen ihm nun nicht möglich war. Es war, als
    sei Gwen, diese Gwen mit dem Revolver in der Hand, plötzlich vom Himmel gefallen und in die
    Szene geplatzt, und jemand müsse nun Stopp! rufen, ein unsichtbarer Regisseur, dem die Handlung entglitten war und der spätestens
    jetzt, an dieser Stelle, hätte versuchen müssen, das Heft wieder in die Hand zu nehmen. Aber
    niemand rief Stopp! Niemand griff ein.
    Leslie blieb allein in dem hilflosen Bemühen, für das, was geschah, eine Erklärung zu
    finden.
    »Gwen, was ist denn mit dir?«, hatte sie nach den ersten Schrecksekunden gefragt, und Gwen
    hatte gelächelt. »Was soll mit mir sein? Ich nehme mein Leben in die Hand. Ich tue das, was ihr
    alle mir immer geraten habt.« »Was wir dir geraten haben?«
    »Warum lungerst du hier überhaupt herum?«, hatte Gwen gefragt. »Warst du auf der Suche nach
    Dave? Er gefallt dir, nicht wahr? Ein gutaussehender Mann. Dachtest du, du könntest ihn in dein
    Bett zerren, jetzt, da er mich nicht mehr haben will? Wo der Platz neben dir schon so lange
    leer ist!«
    Leslie hatte zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht verstanden. Die Erwähnung von Dave rief ihr
    Chads mühsam gestammelte Worte wieder ins Gedächtnis.
    »Gwen, dein Vater hat mich vor Dave gewarnt. Er ist gefährlich. Er hat ihn schwer verletzt. Er
    ... « Sie hatte nicht weitergeredet, weil in diesem Moment erstes Begreifen in ihr aufgestiegen
    war.
    »Hast du auf deinen
    Vater geschossen?«, fragte sie stattdessen.
    Gwen hatte erneut gelächelt, dieses fremde Lächeln, in dem keine Heiterkeit lag. »Schlau,
    Leslie! So warst du ja immer! Leslie, unsere Superschlaue! Du hast das genau erkannt. Ich habe
    auf meinen Vater geschossen. Und falls er von Dave gesprochen hat, so wollte er dich vermutlich
    darauf hinweisen, dass der ganz gut deine Hilfe brauchen könnte. Er liegt in unserer Bucht.
    Angeschossen. Brenzlig wird's für ihn, wenn morgen früh die Flut wiederkommt. Aber das ist ja
    nicht mein Problem.«
    Ehe Leslie etwas hatte darauf erwidern können, hatte das Telefon geläutet, aber da sie
    inzwischen jegliche Illusion verloren hatte, ob Gwen wohl Gebrauch von ihrer Schusswaffe machen
    würde, fugte sie sich dem Befehl der einstigen Freundin, die Hände vom Hörer zu lassen. Als der
    Apparat nach ein paar Augenblicken der Stille erneut zu klingeln begann, zuckte sie nicht
    einmal mehr mit den Fingern.
    »Tja, die Frage ist, was mache ich jetzt mit dir?«, überlegte Gwen. »Wirklich dumm von dir,
    hierherzukommen, Leslie. Ach ja, diesen Punkt haben wir ja noch nicht abschließend geklärt: Es
    war wegen Dave, oder?«
    »Aber nicht so, wie du denkst. Ich dachte, dass Dave es war. Dass Dave meine Großmutter
    umgebracht hat. Und ich hatte Angst um Chad. Ich dachte, das Motiv könnte bei Brian Somerville
    liegen. Und bei Semira Newton. Und dann wäre Chad in Gefahr gewesen.« Sie blickte Gwen bei der
    Erwähnung der beiden Namen sehr genau an, aber

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