Das andere Kind
das
nur recht sein. Ich habe Colin später erzählt, dass Jennifer mir diese Konstruktion förmlich
aufgedrängt hat. Sein Gesicht hättest du sehen sollen. Hat ihn schwer ins Grübeln gebracht, das
seltsame Verhalten seiner Frau.«
»Du ... bist sehr raffiniert vorgegangen«, sagte Leslie mühsam, »in allem.«
»Ja, nicht wahr? Nebenbei ließ ich Colin wissen, dass auch Dave die alte
Geschichte kennt. Ich setzte darauf, dass später, wenn er erst unter Tatverdacht verhaftet
würde, niemand ihm glauben würde, dass er erst nach Fionas Tod davon erfahren hat. Ich spürte, wie erschrocken Colin war, und
dass er dachte, dass ich doch wirklich ein Tratschweib sei, und innerlich lachte ich mich
tot. Er war sowieso nicht besser als ich.
Immerhin hat er ja dir gegenüber alles ausposaunt.«
»Dave hat abgestritten, Semira Newton zu kennen, als ich ihn fragte. Überhaupt je von ihr
gehört zu haben.«
»Klar. Er rangierte ohnehin schon ziemlich weit vorn unter den Verdächtigen, er wusste, dass
hier ein Motiv zu konstruieren gewesen wäre. Er hätte sich gut geeignet, um von Semira mit der
Rache an Fiona Barnes beauftragt zu werden. Also tat er so, als habe er keine Ahnung. Nicht
allzu clever. Denn dass diese Sache irgendwann rauskommen würde, lag doch auf der
Hand.«
»Wann ... wann kam dir der Gedanke, Fiona und Chad ... umzubringen?«, fragte Leslie.
Gwen schien einen Moment lang angestrengt nachzudenken, aber Leslie hatte den Eindruck, dass
sie die Antwort bereits wusste. Dass sie nur nach einer Formulierung suchte, sie weniger banal
erscheinen zu lassen, als sie vielleicht klang.
»Immer schon«, antwortete sie schließlich.
»Immer schon? Als Kind? Als Teenager? Immer?« »Immer. Ja, ich glaube, immer«, sagte Gwen, und
sie wirkte aufrichtig. »Ich habe immer davon geträumt. Ich habe es mir immer vorgestellt. Und
mit den Jahren wurde der Wunsch stärker und stärker. Und nun habe ich ihn mir
erfüllt.«
Sie lächelte glücklich.
Entsetzt schoss es Leslie durch den Kopf: Sie ist eine Zeitbombe gewesen. Jahrelang. Und keiner
von uns hat es bemerkt. Jennifer wählte bereits zum dritten Mal die Nummer von Fiona Barnes'
Wohnung in Scarborough, aber wiederum sprang nur der Anrufbeantworter an.
»Sie ist nicht da!«, sagte sie verzweifelt.
Colin, der am Steuer saß und den Wagen mit der gerade noch erlaubten Höchstgeschwindigkeit über
die Straße steuerte, genau in die Richtung, aus der sie noch wenige Stunden zuvor gekommen
waren, fragte erneut: »Und du bist sicher, dass du Leslie Cramers Handynummer nicht
hast?«
»Ja. Bin ich. Leider.« Jennifer wusste, dass Colin sie insgeheim für verrückt erklärte. Er
verstand nicht, was los war.
»Wieso machst du dir Sorgen um Dave?«, hatte er völlig verwirrt gefragt, und Jennifer hatte
geantwortet: »Ich fürchte, Gwen dreht durch, wenn er ihr die Beziehung aufkündigt. Sie wird das
nicht hinnehmen.«
Er hatte das nicht so problematisch gefunden. »Lieber Himmel, Dave Tanner ist groß und stark.
Was befurchtest du? Dass Gwen ihm die Augen auskratzt? Er wird sich schon zu wehren
wissen!«
»Ich habe ein dummes Gefühl. Ein ganz dummes Gefühl, Colin. Dass niemand auf der Farm ans
Telefon geht ... das kommt mir seltsam vor. Ich wünschte ... ach, ich wünschte, ich könnte nach
dem Rechten sehen!«
Colin, obwohl eindeutig der Ansicht, dass seine Frau gerade in die Hysterie
abzugleiten drohte, hatte vorgeschlagen, Leslie anzurufen. »Vielleicht ist sie so nett, zur
Farm zu fahren und sich um Gwen zu kümmern. Ode r um Dave Tanner - falls der wirklich beschützt werden muss.« Leslie war jedoch
offensichtlich nicht daheim.
»Ich fahre nach Staintondale«, hatte Jennifer schließlich verkündet und den Autoschlüssel vom
Küchentisch genommen. »Ich habe sonst keine Ruhe. Erklär mich ruhig für verrückt, Colin, aber
ich fahre jetzt dorthin!«
»Das sind fast eineinhalb Stunden Fahrt! Wir sind gerade angekommen. Ich finde das tatsächlich
ziemlich verrückt, Jennifer!«
Sie hatte ihre Jacke angezogen und war zur Haustür hinausmarschiert. Nachdem sie sich jahrelang
geweigert hatte, hinter dem Steuer eines Autos Platz zu nehmen, schien sie nun tatsächlich
entschlossen, einfach loszufahren. Fluchend war Colin ihr gefolgt, hatte ihr vor der Garage den
Schlüssel aus der Hand genommen.
»Okay. Aber lass mich fahren. Du hast das seit Jahren nicht mehr getan. Was ist denn nur los,
Jennifer, Herrgott noch mal?«
Sie hatte
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