Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
Vom Netzwerk:
nicht geantwortet. Aber er hatte im Licht der Hauslaterne sehen können, dass es ihr
    wirklich schlecht ging. Sie war in höchster Sorge, und Colin fragte sich nicht zum ersten Mal,
    wie viele Geheimnisse seine Frau vor ihm haben mochte.
    »Wenn du dir solche Gedanken um Tanner machst«, sagte er nun, »solltest du vielleicht die
    Polizei anrufen. Anstatt uns hier durch die Nacht zu jagen und um unseren Schlaf zu
    bringen!«
    »Ich habe nicht gesagt, dass du mitkommen sollst!«
    »In diesem Zustand könnte ich dich nicht allein fahren lassen. Jennifer, wovor genau hast du
    Angst?«
    Sie sah ihn nicht an, drückte ihr Gesicht seitlich gegen die Scheibe. »Ich
    weiß es n icht genau, Colin. Das ist die Wahrheit. Ich weiß nur, dass Gwen zu einer Kurzschlusshandlung fähig sein könnte, wenn
    Dave mit ihr Schluss macht.«
    »Was genau verstehst du in diesem Fa ll unter
    Kurzschluss- handlung? «
    Sie antwortete nicht.
    Drängend wiederholte Colin: »Jennifer! Was verstehst du unter Kurzschlusshandlung?«
    Sie schien mit sich zu ringen. »Sie steht unter entsetzlichem Druck«, sagte sie schließlich.
    »Sie ist zerfressen von Hass und Verzweiflung. Ich weiß nicht, ob sie diese Niederlage wird
    abfedern können.«
    »Hass? Gwen?«
    Jetzt wandte sie sich ihm zu. Er blickte kurz zu ihr hinüber, ehe er sich wieder auf die dunkle
    Straße konzentrierte. Ihre Augen waren groß und voller Angst.
    »Ich kann nicht die Polizei anrufen«, sagte sie, »weil ich sie damit auf Gwen lenke und diese
    in eine Situation bringe, aus der sie vielleicht nicht mehr herausfindet. Aber ich weiß, dass
    Gwen seit Jahren schon ihr Leben hasst und dass sie sich als einen Menschen empfindet, auf den
    sich alles Unglück konzentriert. Sie ist voller Wut darüber. Sie hat mir das nie direkt gesagt,
    aber ich konnte es spüren. Ich weiß es einfach, Colin.«
    »Ist dir klar, was du da sagst?«
    »Ja. Aber deswegen muss sie nicht Fiona umgebracht ha- ben.«
    »Doch du schließt es nicht völlig aus?«
    Abermals blieb Jennifer stumm.
    Colin nahm eine Hand vom Steuer, strich sich über die Stirn. Seine Haut
    fühlte sich kalt und feucht an. »Das Alibi«, sagte er, »dieses bl öde falsche Alibi. Du wolltest nicht dich damit schützen. Du
    wolltest sie schützen. Du hattest einen
    Verdacht, und statt der Polizei davon zu berichten, sorgtest du dafür, dass Gwen möglichst
    schnell aus der Schusslinie geriet. Das ist Wahnsinn, Jennifer. Das ist echter
    Wahnsinn.«
    »Sie soll nicht noch mehr leiden.«
    »Sie hat vielleicht einen Menschen umgebracht!« »Aber wir wissen es nicht!«
    »Es ist Aufgabe der Polizei, das herauszufinden. Und es wäre deine Pflicht gewesen, alles zu
    sagen, was du weißt. Wir kommen in Teufels Küche. Ist dir das klar?«
    Statt einer Antwort fragte sie: »Kannst du schneller fahren?«
    »Wir müssen spätestens jetzt die Polizei anrufen, Jennifer.«
    »Nein.«
    Mit einem lauten Fluch trat Colin das Gaspedal durch. Eine Geschwindigkeitsübertretung war nun
    auch schon egal.
    »Dein Vater stirbt, wenn er nicht bald Hilfe bekommt«, sagte Leslie. Sie
    konnte fast nicht mehr stehen. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie spürte, dass
    Gwen aus der Situation, die sie selbst geschaffen hatte, nicht herausfand. Aber die Minuten
    verrannen, und Chads Chancen, das Drama zu überleben , verrannen mit
    ihnen. Die von Dave Tanner ebenfalls. Und sie konnte nichts tun.
    Musste dieser Verrückten gegenüberstehen und hoffen, dass diese nicht in Panik geriet und
    abdrückte.
    Gwen zuckte mit den Schultern. »Soll er. Das ist ja der Sinn der Sache. Fiona tot, Chad tot. Er
    hat mein Leben blockiert, und sie hat ihm dabei geholfen. Im Übrigen haben die beiden meine
    Mutter auf dem Gewissen. Über Fionas Weigerung, meinen Vater loszulassen, und über der
    Unfähigkeit meines Vaters, Fiona in die Schranken zu weisen, ist meine Mutter buchstäblich
    krank geworden. Oder denkst du, sie fand es besonders lustig, deine Großmutter Tag für Tag hier
    auf der Farm zu haben? Sogar gekocht hat sie für meinen Vater. Ihn begluckt, wenn er krank war.
    Seine Sorgen geteilt. Manchmal haben beide so getan, als gebe es meine Mutter gar nicht. Und
    mich auch nicht. Wir waren überhaupt nicht da. Darüber hat Mum ihren Krebs bekommen. Und ich
    ... « Sie sprach nicht weiter.
    »Du bist seelisch krank geworden«, sagte Leslie. Sie bedachte jedes Wort, das sie sagte, sehr
    genau. »Und ich kann es verstehen. Es tut mir von Herzen leid, darauf nicht

Weitere Kostenlose Bücher