Das andere Kind
hatte sie ihm langsam und geduldig erklärt, wie es
funktionierte: wie er seinen Posteingang aufrief, das Passwort - Fiona, natürlich - eingab, die Mails öffnete. Wie er darauf
antworten konnte. Seitdem korrespondierten sie über dieses seltsame Medium, dem Chad zwar nach
wie vor misstraute, dessen Reiz er sich aber nicht ganz entziehen konnte: Es war schön, hin und
wieder einen Brief von Fiona zu bekommen. Und ihr in ein paar dürren Worten zu antworten.
Allerdings hatte er sich nicht noch tiefer in diesen modernen
Unfug, wie er die Computertechnik nannte, hineingewagt. Er wäre nie
auf den Gedanken gekommen, im Internet zu surfen, hatte sowieso keine Ahnung, wie das ging.
Wollte auch keine haben.
Fiona
war ziemlich hektisch gewesen gestern. Vermutlich hatte sie deshalb auch nicht geruht, bis sie
einen Eklat provoziert hatte. Der Angriff auf Dave Tanner war ein Ventil für sie gewesen,
wenngleich Chad überzeugt war, dass ihre Aversion gegen Gwens Verlobten echt war, und dass sie
ihm tatsächlich mit größten Vorbehalten begegnete. Möglich, dass sie mit ihren Unterstellungen,
was seine Absichten anging, recht hatte, aber er selbst konnte sich beim besten Willen nicht
darüber aufregen. Es war Gwens Leben. Sie war über dreißig, wenn sie jetzt unter die Haube kam,
war es nicht zu früh, und vielleicht wurde sie glücklich mit Tanner. Chad fand nicht, dass
Liebe das einzige Motiv war, aus dem heraus zwei Menschen heiraten sollten. Vielleicht
versuchte Tanner tatsächlich, seine Lebensumstände zu verbessern, na und? Am Ende tat das der
Beckett-Farm sehr gut. Vielleicht bekamen er und Gwen Kinder, und Gwen würde aufblühen in ihrer
Rolle als Mutter. Sie war ein sehr einsamer Mensch. Chad sa h das
pragmatisch: Besser Tan ner als gar keiner. Er konnte Fionas
Aufregung um dieses Thema nicht recht verstehen.
Nachdem sie den
Abend völlig verdorben hatte, hatte sie hier gesessen, auf einem Klappstuhl dem Schreibtisch
gegenüber, und hatte sich eine Zigarette nach der anderen angesteckt. Er kannte sie seit ihrer
Kindheit, er kannte sie besser als irgendeinen Menschen sonst auf der Welt, und er hatte
gewusst, dass irgendetwas sie bedrängte und bedrückte, und nachdem sie noch eine Weile wegen
Gwens geplanter Heirat herumlamentiert hatte, war sie schließlich zur Sache
gekommen.
»Chad, ich erhalte
seltsame Anrufe in der letzten Zeit«, hatte sie leise und hastig gesagt, »du weißt schon -
anonyme Anrufe.«
Er wusste es nicht,
hatte auch nie derartige Anrufe bekommen. »Anonyme Anrufe? Welcher Art? Wirst du
bedroht?«
»Nein. Nichts. Ich
meine, der Anrufer sagt überhaupt nichts. Er - oder sie - atmet nur.«
»Ist es ...
?«
Sie hatte den Kopf geschüttelt. »Nein. Nicht diese Art von Atmen. Nicht sexuell, würde ich sagen. Es ist ein ganz ruhiges
Atmen. Ich glaube, der andere hört einfach nur, wie ich mich aufrege, und legt dann irgendwann
den Hörer au£«
»Und wie
regst du dich auf?« »Ich frage, wer da ist. Was er will. Ich sage ihm - oder ihr -, dass uns
Schweigen nicht weiterbringt. Dass ich wissen möchte, was los ist. Aber es kommt nie eine
Antwort.« »Vielleicht solltest du es einfach genauso machen. Nicht reden. Sofort auflegen, wenn
du das Atmen hörst.«
Sie hatte genickt. »Es war ein Fehler, auf den Anrufer ei nzugehen. Wahrscheinlich habe ich genauso reagiert, wie
er sich das vorgestellt hat. Trotzdem ... « Sie hatte sich die nächste Zigarette angezündet.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Chad, wie jemand über Jahrzehnte so hemmungslos rauchen und
zugleich von so zäher Gesundheit sein konnte.
»Mich
treibt die Frage um, wer der Anrufer ist«, hatte sie nach ein paar hektischen Zügen gesagt.
»Irgendetwas bezweckt ein Mensch doch mit so etwas. Warum bin gerade ich das Ziel?«
Er
hatte mit den Schultern gezuckt. »Zufall vielleicht. Der findet die Namen im Telefonbuch und
ruft einfach an. Wahrscheinlich hat er mehrere Opfer. Vielleicht tut er das den ganzen Tag,
reihum, und vielleicht bei dir besonders oft, weil du dich am heftigsten aufregst.«
„ Das
ist doch krank!«
„Ja.
Irgendwie schon. Es kann aber trotzdem völlig harmlos sein. Vielleicht sitzt da ein
hoffnungslos verklemmter Mensch am anderen Ende, der sich nie aus dem Haus traut und niemals
wagen würde, einen Fremden anzusprechen. Bei diesen Anrufen fühlt er sich stark. Mehr steckt
nicht dahinter.«
Sie
kaute auf ihrer Unterlippe. „Und du meinst nicht, dass es
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