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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Tag hier im Zimmer zu sitzen, finden Sie nicht?« »Sind Sie gestern gleich schlafen
    gegangen? Ich meine, nach allem, was war, müssen Sie ziemlich aufgewühlt gewesen sein.« »Nein.
    Ich war nicht allzu aufgewühlt. Und ja, ich bin gleich schlafen gegangen.« Er brachte das
    kochende Wasser, füllte es in die Tassen. »Dr. Cramer, was soll das? Sie fragen mich ständig,
    was ich gestern Abend getan habe. Warum? Was ist mit Ihrer Großmutter los? Und was habe ich mit
    ihr zu tun?« »Ich bin gestern ohne sie in ihre Wohnung zurückgefahren. Ich war wütend auf sie
    und hatte keine Lust mehr, mit ihr zu reden. Sie blieb noch eine ganze Weile auf der Beckett-
    Farm und ließ sich dann von Colin Brankley ein Taxi bestellen, und zwar zu einer Farm, die gute
    fünfzehn Minuten Fußmarsch von der Beckett-Farm entfernt liegt. Sie stand sehr unter Strom, wie
    Colin berichtete, und wollte unbedingt noch laufen. Der Taxifahrer
    traf am vereinbar ten Treffpunkt aber niemanden an, kurvte noch eine
    Weile herum und fuhr schließlich nach Scarborough zurück. Fiona ist weder in ihrer Wohnung
    aufgetaucht noch zur Beckett-Farm zurückgekehrt. Sie ist einfach verschwunden. Und ich mache
    mir ziemliche Sorgen.«
    »Das verstehe ich. Aber
    weshalb dachten Sie, dass ich wissen könnte, wo sie ist?«
    Leslie nahm einen Schluck
    Kaffee und verbrannte sich die Zunge. Das Gebräu schmeckte scheußlich. Entgegen ihrer
    Gewohnheit griff sie zum Zucker.
    »Ich hoffte einfach, dass
    Sie etwas wissen. Es hätte ja sein können, dass Fiona Sie aufsucht, gerade weil sie sich Ihnen
    gegenüber so völlig danebenbenommen hatte. Es war einfach ... ein Versuch.«
    »Leider habe ich wirklich
    keine Ahnung, wo sie stecken könnte«, sagte Dave.
    Und weshalb sollte er mich
    belügen, dachte Leslie. Sie fühlte sich müde und angstvoll. Dennoch weigerte sich etwas in ihr,
    die Möglichkeit, ihrer Großmutter könnte etwas Ernsthaftes zugestoßen sein, wirklich in
    Betracht zu ziehen. Fiona war nicht der Typ, dem etwas zustieß. Im nächsten Moment allerdings
    fragte sie sich, ob es das überhaupt gab: einen Menschen, dem nichts zustieß. War es nicht das
    Fatale und Unheimliche, dass alles jeden treffen konnte, immer und überall?
    Sie sah sich in dem Zimmer
    um und überlegte, wie ein erwachsener Mann so hausen konnte. Ein Student, ja, aber ein Mann in
    den Vierzigern? Was war schiefgelaufen in Dave Tanners Leben? Er hatte Ruhelosigkeit in den
    Augen, vielleicht sogar einen Anflug von Verzweiflung. Er hasste dieses Zimmer, und dazu musste
    nicht im Widerspruch stehen, dass er nichts tat, es sich schöner zu gestalten, dass er es, im
    Gegenteil, vollkommen verwahrlosen ließ. Das Zimmer verkörperte seine Wut gegen sein Leben -
    gegen das ärmliche, verwohnte Reihenhaus, die zudringliche Wirtin, gegen das Auto, das ständig
    seinen Dienst versagte, wahrscheinlich auch gegen seinen Job, der ihn nicht einmal ansatzweise
    befriedigen oder ausfüllen konnte. Er schien ihr intelligent und gebildet -warum hatte er es
    nicht weiter gebracht als bis in dieses enge Loch, unter einem Dach mit dieser grässlichen
    alten Frau?
    „Ich glaube, es war gegen
    halb neun Uhr gestern Abend, als ich die Beckett-Farm verließ«, sagte Dave, „und ich schätze,
    dass ich gegen neun hier war. Ich habe noch etwas Wein getrunken und mich dann ins Bett gelegt.
    Fiona Barnes habe ich weder gesehen noch gesprochen. Das war's.«
    „Sie müssen ganz schön
    wütend gewesen sein.«
    „Ich war wütend, weil sie
    mich vor aller Augen und Ohren angegriffen hat. Weil sie den Abend zerstört hat. Ihre Ansichten
    über mich waren mir allerdings nicht neu, auch wenn sie sie noch nie vorher so direkt zum
    Ausdruck gebracht hat. Ich habe ihr Misstrauen immer gespürt.«
    „Sie sorgt sich um
    Gwen.«
    „Mit welchem
    Recht?«
    „Was meinen Sie?«, fragte
    Leslie überrascht.
    Er rührte so heftig in
    seiner Tasse, dass der Kaffee über den Rand und auf den Tisch schwappte. „Was ich sage. Mit
    welchem Recht? Sie ist nicht Gwens Mutter oder Großmutter. Sie ist nicht verwandt. Weshalb
    fühlt sie sich berufen, sich derart massiv in Gwens Leben einzumischen?«
    „Sie ist seit Ewigkeiten
    mit Gwens Vater befreundet. Gwen hängt sehr an ihr, hat in ihr immer einen Mutterersatz
    gesehen. Daraus ergibt sich für Fiona fast zwangsläufig das Gefühl von Verantwortung. Und sie
    ist misstrauisch.«
    »Weswegen?«
    Leslie setzte ihre Worte
    sehr vorsichtig. »Sie wissen vermutlich, dass Sie ein

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