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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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»Wird das ein
    Verhör?«
    »Nur eine Frage.«
    »Ich bin direkt hierher gefahren, ja.
    Allerdings habe ich keine Ahnung, wo sich Ihre Großmutter befindet, und ehrlich gesagt, an
    einer Begegnung mit ihr bin ich ausgesprochen wenig interessiert.« Er wies auf die Haustür.
    »Vielleicht brauchen wir uns ja nicht auf der Straße zu unterhalten. Mögen Sie einen
    Kaffee?«
    Leslie hatte zwar bei Gwen um einen
    Kaffee gebeten, aber nun fiel ihr ein, dass sie schließlich nicht die Zeit gefunden hatte, ihn
    dann auch zu trinken. Es war fast zwei Uhr am Mittag, und sie hatte überhaupt noch nichts zu
    sich genommen an diesem Tag. Sie fühlte sich wackelig auf den Beinen, und ihr Magen
    signalisierte leichte Übelkeit.
    »Ein Kaffee wäre großartig«, sagte sie
    dankbar.
    Dave ging vor ihr die Stufen zur
    Haustür hinunter. Leslie konnte jetzt hinter der Gardine am Fenster deutlich die Umrisse einer
    menschlichen Gestalt wahrnehmen. Auch Dave hatte sie bemerkt.
    »Meine Wirtin«, erklärte er, »sie nimmt
    regen Anteil am Leben anderer Menschen - um es äußerst positiv zu formulieren.« Er schloss die
    Tür auf »Bitte sehr. Treten Sie ein.«
    Leslie trat in den engen, dunklen Flur
    und prallte fast mit einer älteren Frau zusammen, die gerade aus dem Wohnzimmer kam. Das musste
    die Wirtin sein. Sie musterte Leslie von oben bis unten.
    »Na?«, fragte sie. »Besuch?« Leslie
    streckte ihr die Hand hin. »Ich bin Dr. Leslie Cramer. Ich habe kurz etwas mit Mr. Tanner zu
    besprechen.« »Willerton«, sagte die Wirtin. »Mir gehört das Haus. Ich vermiete oben ein Zimmer,
    seit mein Mann nicht mehr da ist.«
    Dave drängte sich an den beiden Frauen
    vorbei zur Treppe. »Passen Sie bei den Stufen auf, Dr. Cramer«, sagte er. »Sie sind ausgetreten
    und steil, und das Licht ist ausgesprochen trüb.«
    »Suchen Sie sich
    doch woanders ein Zimmer, wenn Sie es bei mir zu popelig finden!«, rief Mrs. Willerton
    beleidigt. Leslie folgte Dave die tatsächlich halsbrecherisch
    an mutende Treppe hinauf Oben öffnete Dave eine Tür. »Ich muss Sie
    leider direkt in mein Schlafzimmer bitten«, sagte er, »aber mehr Räume als dieser eine stehen
    mir nicht zur Verfügung.«
    Das Zimmer war ein einziges
    Chaos. Es gab zwar einen Schrank, aber wofür auch immer Tanner ihn benutzte, er tat es
    jedenfalls nicht für seine Klamotten. Hosen und Pullover lagen in wildem Durcheinander über
    Stuhllehnen und Sesseln oder stapelten sich auf dem Fußboden. Das Bett war ungemacht und völlig
    zerwühlt. Eine Flasche Mineralwasser stand daneben. Zeitungen, mehrfach gelesen und völlig
    zerknüllt, bedeckten die gesamte Fläche des kleinen Tisches in der Ecke. Leslie entdeckte einen
    Lippenstift, der auf dem Fensterbrett lag, und eine zusammengerollte schwarze Strumpfhose unter
    dem Stuhl am Tisch. Sie war überrascht, auf Anzeichen zu stoßen, dass Gwen wohl des Öfteren
    hier übernachtete, aber sie sagte sich, dass Gwen schließlich entgegen ihrer Ausstrahlung keine
    eiserne Jungfrau sein musste und natürlich das Recht hatte, sich hier mit ihrem Verlobten zu
    vergnügen. Alles andere wäre unnormal gewesen. Allerdings hätte sie nie gedacht, dass Gwen
    Lippenstift benutzte - sie hatte sie tatsächlich noch nie mit geschminkten Lippen gesehen -,
    und die hauchfeinen schwarzen Seidenstrümpfe hätte sie auch nicht bei ihr vermutet. Aber wer
    wusste es schon, vielleicht verwandelte sich Gwen in einen Vamp, wenn sie sich zu ihrem
    Rendezvous mit Dave begab, und am Ende lag hier die Lösung des Rätsels um die beiden so
    unfassbar verschiedenen Menschen begründet: Sex. Womöglich hatten sie einfach irrsinnigen,
    fantastischen, überirdischen Sex miteinander.
    Wenngleich dies, wie Leslie sich
    eingestehen musste, extrem schwer vorstellbar war, wenn man Gwen kannte.
    Dave wedelte
    ein paar T-Shirts von einem Stuhl. »Bitte. Setzen Sie sich doch. Ich mache den Kaffee.« An
    einem Waschbecken, in einer Art Nasszelle neben der Tür, ließ er Wasser in einen Wasserkocher
    laufen, schaltete ihn dann ein. Er nahm ein Glas aus dem Schrank - löslicher Kaffee, dachte
    Leslie resigniert, das habe ich befürchtet - und löffelte das braune Pulver in zwei Tassen. Er
    schob die Zeitungen beiseite und stellte ein Schälchen mit Trockenmilchpulver und abgepackten
    Zuckerstücken auf den Tisch. »Voila!«, sagte er. »Gleich ist alles fertig!« »Sie haben schon
    einen Spaziergang hinter sich?«, fragte Leslie. Er nickte. »Das Wetter ist zu schön, um den
    ganzen

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