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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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würde das Stück durch den Park werden. Links
    unterhalb von ihr das Meer und der Strand, weit oberhalb die ersten Häuser des South Cliff und
    dazwischen die Esplanade Gardens, die sich terrassenförmig nach oben schraubten, dicht
    bewuchert von Büschen und Bäumen, durchzogen von einer Vielzahl schmaler Wege. Der kürzeste
    Aufstieg führte über eine steile Treppe direkt zur Esplanade, der breiten Straße, hinauf, an
    deren Westseite entlang sich ein Hotel an das andere reihte. Dies war Amys Strecke, die dunkle
    Treppe der heikle Abschnitt dabei. Sowie sie auf der Esplanade wäre, würde sie sich besser
    fühlen. Sie musste dann noch ein gutes Stück die Straße hinauf und gleich hinter dem Highlander Hotel in die Albion Road abbiegen, in
    der das schmalbrüstige Reihenhaus lag, das einer Tante von ihr gehörte, die sie für die Dauer
    des Studiums aufgenommen hatte. Die Tante war alt und einsam und freute sich über die
    Gesellschaft, und Amy war das Kind armer Eltern, denen die kostenlose Wohnmöglichkeit sehr
    entgegenkam. Überdies konnte sie von dort aus gut zu Fuß den Campus erreichen. Sie war dankbar,
    dass sich doch manches in ihrem Leben besser gefügt hatte, als gedacht. Da, wo sie herkam, aus
    einer Arbeitersiedlung in Leeds, hätte niemand geglaubt, dass Amy es auf die Universität
    schaffen würde. Aber sie war intelligent und fleißig, und bei all ihrer übertriebenen
    Schüchternheit und Ängstlichkeit doch recht zielstrebig. Alle Prüfungen hatte sie bislang mit
    guten Noten bestanden.
    Sie befand sich in
    der Mitte der Brücke, als sie kurz stehen blieb und sich nach hinten umschaute. Es war nicht
    so, dass sie irgendetwas gehört hätte, aber sie hatte jedes Mal an ungefähr dieser Stelle die
    fast reflexhafte Neigung, zu überprüfen, ob alles in Ordnung war, ehe sie in die unheimliche
    Einsamkeit der Esplanade Gardens eintauchte - ohne dass sie sich darüber im Klaren gewesen
    wäre, was sie unter in Ordnung eigentlich
    genau verstand.
    Ein Mann kam das St. Nicholas
    Cliff herab. Groß, schlank, sehr rasche Schritte. Seine Kleidung vermochte sie nicht genau zu
    erkennen. Nur noch wenige Meter und er würde die Brücke erreicht haben, auf die er
    unzweifelhaft zusteuerte.
    Ansonsten war weit und breit
    niemand zu sehen.
    Mit der einen
    Hand umklammerte Amy ihre Büchertasche, mit der anderen den Haustürschlüssel, den sie noch bei
    Mrs. Gardner hervorgekramt hatte. Sie hatte es sich angewöhnt, ihn immer schon bereitzuhalten,
    wenn sie zu Hause ankam. Natürlich hing auc h das wieder mit ihren
    Ängsten zusammen. Ihre Tante vergaß jedes Mal, die Lampe über dem
    Eingang einzuschalten, und Amy hasste es, dort zu stehen und blind wie ein Maulwurf in ihrer
    Tasche nach dem Schlüssel zu graben, rechts und links von sich die beiden drei Meter hohen
    Fliederbüsche, die den kurzen Plattenweg fast vollständig zuwucherten und die zu beschneiden
    sich die alte Frau mit alterstypisch unvernünftiger Sturheit beharrlich weigerte. Amy wollte
    rasch ins Haus gelangen können. Schnell in Sicherheit sein.
    In Sicherheit
    wovor?
    Sie war
    zu ängstlich, das wusste sie. Es war einfach nicht normal, überall Gespenster zu sehen, ständig
    Einbrecher, Raubmörder, Triebtäter hinter jeder Straßenecke zu wittern. Sie mutmaßte, dass es
    an der Art lag, wie sie aufgewachsen war - als überbehütetes, beschütztes, kostbares einziges
    Kind ihrer einfach strukturierten Eltern. Tu dies nicht, tu jenes
    nicht, dies könnte passieren, das könnte passieren . .. Diese Sätze
    hatte sie ständig zu hören bekommen. Zu den meisten Unternehmungen ihrer Klassenkameraden hatte
    sie nicht mitgedurft, weil ihre Mutter stets Angst hatte, es könnte in irgendeiner Weise
    schlimm für sie ausgehen. Amy hatte gegen die Verbote nicht revoltiert; sie hatte die Ängste
    ihrer Mutter frühzeitig geteilt und war recht froh gewesen, den Schulfreunden gegenüber ein
    Argument zu haben:
    Ich darf eben nicht mit . .. Was auf die Dauer dazu geführt
    hatte, dass es kaum mehr Freunde für sie gab.
    Sie drehte sich
    noch einmal um. Der Fremde hatte die Brücke erreicht. Amy ging weiter. Sie lief etwas schneller
    als zuvor. Es war nicht nur die Furcht vor dem Mann, die sie trieb. Es war auch die Furcht vor
    ihren eigenen Gedanken.
    Einsamkeit. Die
    anderen Studenten des Scarborough Campus, einem Ableger der Universität von Hull, wohnten
    während des ersten Studienjahres im Wohnheim, später taten sie sich dann in

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