Das andere Kind
sich etwas Neues anbahnte
in seinem Leben. Es mochte mit dieser Frau zu tun haben, die neben ihm saß.
Es konnte aber auch
ganz anders sein.
Er mahnte sich,
ruhig zu bleiben. Und vorsichtig.
Er konnte sich
nicht mehr allzu viele Fehler leisten in seinem Leben.
Amy Mills brauchte
das Geld, das ihr der Job als Babysitter einbrachte, andernfalls hätte sie das nie gemacht,
aber sie musste sich ihr Studium weitgehend selbst finanzieren und konnte nicht wählerisch
sein. Nicht dass es unangenehm gewesen wäre, den Abend in einem fremden Wohnzimmer zu
verbringen, ein Buch zu lesen oder fernzusehen und einfach nur Wache bei einem schlafenden Kind
zu halten, dessen Eltern unterwegs waren. Aber sie kam dadurch spät in ihr eigenes Bett, und
überdies hasste sie den Heimweg durch die Dunkelheit. Zumindest im Herbst und Winter. Im Sommer
blieben die Abende lange hell, und oft herrschte auf den Straßen Scarboroughs dann noch
lebhaftes Treiben durch die vielen Studenten, die das Städtchen an der Ostküste Yorkshires
bevölkerten.
An diesem Abend
jedoch sah es anders aus. Das Gewitter und der heftige Regen vom Nachmittag hatten alle
Menschen in ihre Häuser getrieben und die Straßen leer gefegt. Zudem war es nach einem sehr
heißen Tag deutlich kühler geworden. Ungemütlich und windig. Niemand wird unterwegs sein,
dachte Amy unbehaglich. Mittwochs war sie immer bei Mrs. Gardner, genau genommen bei deren
vierjährigerTochter Liliana. Mrs. Gardner war eine alleinerziehende Mutter, die sich und ihr
Kind mühsam mit den verschiedensten Jobs durchbrachte, und mittwochs hielt sie abends in der
Friarage School einen Französischkurs ab. Er endete um neun Uhr, aber danach ging sie mit ihren
Schülern stets noch etwas trinken.
»Ich komme ja sonst
nie raus«, hatte sie zu Amy gesagt,
»und wenigstens
einmal in der Woche möchte ich auch ein wenig Spaß haben. Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich
um zehn daheim bin?«
Das Problem war: Es
war nie zehn Uhr, wenn sie endlich eintraf. Halb elf, wenn Amy Glück hatte, Viertel vor elf war
eher die Regel. Mrs. Gardner entschuldigte sich jedes Mal wortreich.
»Ich weiß gar
nicht, wo die Zeit geblieben ist! Meine Güte, wenn man erst einmal zu quatschen anfängt ...
«
Eigentlich hätte Amy diesen Job gern gekündigt, aber es war ihre einzige
gewissermaßen feste Stellung. Sie
betreute auch Kinder anderer Familien, aber das nur unregelmäßig. Auf das Geld vom Mittwoch
konnte sie sich verlassen, und in ihrer Situation war das Gold wert. Wäre nur der Heimweg nicht
gewesen ...
Ich bin
richtig feige, sagte sie sich oft, aber das änderte nichts an ihrer Angst.
Mrs. Gardner
besaß kein Auto, um ihre Hilfskraft rasch heimfahren zu können, überdies war sie jedes Mal viel
zu stark alkoholisiert. Auch an diesem Mittwoch hatte sie wieder recht tief ins Glas geschaut,
und es war später geworden als je zuvor: zwanzig Minuten nach elf!
»Wir hatten
zehn Uhr vereinbart«, sagte Amy entnervt und packte ihre Bücher zusammen. Sie hatte den Abend
mit Lernen verbracht.
Mrs. Gardner
gab sich wenigstens zerknirscht. »Ich weiß, und das ist auch wirklich furchtbar mit mir. Aber
wir haben eine Neue in unserem Kurs, und die hat ein paar Runden ausgegeben. Sie hatte
unheimlich viel zu erzählen, und ehe ich mich's versah ... war es so spät geworden!«
Sie händigte Amy das Geld aus und war so anständig, fünf Pfund mehr zu geb en. »Hier. Weil Sie ja wirklich Überstunden
machen mussten ... Mit Liliana war alles in Ordnung?«
»Sie
schläft. Sie ist nicht einmal aufgewacht.« Amy verabschiedete sich etwas unterkühlt von der
weinseligen Mrs. Gardner und verließ deren Wohnung. Als sie auf die Straße trat, hob sie
fröstelnd die Schultern.
Fast
herbstlich, dachte sie, dabei haben wir gerade erst Mitte Juli.
Wenigstens regnete es
seit Stunden nicht mehr. Ihr Weg führte sie zunächst ein Stück die Straße am St. Nicholas Cliff
hinab, vorbei am ziemlich abgeblättert wirkenden Grand Hotel und dann über die lange,
schmiedeeiserne Brücke, die den Bereich der Innenstadt mit dem South Cliff verband und eine
Straßenkreuzung überquerte, auf der tagsüber reger Verkehr herrschte. Jetzt, zu dieser späten
Uhrzeit, war jedoch auch dort unten alles ausgestorben, allerdings gleißend hell erleuchtet von
den Straßenlaternen. Amy empfand die Stille der schlafenden Stadt durchaus als unheimlich, doch
hielt sich ihre Angst noch in Grenzen. Schlimmer
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