Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
Vom Netzwerk:
Angebot
    anzunehmen. Erstens erreichen Sie Ihren Bus wahrscheinlich sowieso nicht mehr. Und zweitens
    sind Sie, selbst wenn es Ihnen glückt, morgen oder spätestens übermorgen heftig erkältet.
    Also?«
    Sie zögerte, und er spürte ihr Misstrauen. Sie
    fragte sich, was seine Motive sein mochten. Er wusste, dass er gut aussah und Erfolg bei Frauen
    hatte, und sie war vermutlich realistisch genug, um zu erkennen, dass ein Mann wie er von einer
    Frau wie ihr nicht wirklich angezogen sein konnte. Wahrscheinlich stufte sie ihn entweder als
    Triebtäter ein, der sie gerade in sein Auto zu locken versuchte, weil er grundsätzlich nahm,
    was er kriegen konnte, oder als einen Mann, der soeben vom Mitleid überwältigt worden war.
    Beide Alternativen konnten ihr kaum zusagen.
    »Dave Tanner«, sagte er und streckte ihr seine
    Hand hin. Sie ergriff sie zögernd. Ihre Hand fühlte sich warm und weich an.
    »Gwendolyn Beckett«, sagte sie.
    Er lächelte. »Also, Mrs. Beckett, ich ...
    «
    »Miss«, korrigierte sie ihn rasch. »Miss Beckett.«
    »Okay, Miss Beckett.« Er schaute auf seine
    Armbanduhr. »Ihr Bus fahrt in einer Minute. Ich denke, damit ist die Sache entschieden. Fühlen
    Sie sich bereit für einen Sprint über den Schulhof und ein paar Meter die Straße
    hinauf?«
    Sie nickte, nun überrumpelt von der
    Erkenntnis, dass ihr kaum eine Wahl blieb, als den Strohhalm zu ergreifen, den er ihr hinhielt.
    »Halten Sie Ihre Tasche über den Kopf«, riet er ihr, »das schützt Sie ein wenig.«
    Hintereinander rannten sie über den in
    Pfützen schwimmenden Schulhof. Die hohen Bäume entlang dem schmiedeeisernen Zaun, der das
    Gelände umgab, bogen sich unter dem rauschenden Regen. Linker Hand erhob sich das riesige
    Gebäude der Markthallen mit seinen unterirdischen, katakombenähnlichen steinernen Gängen, in
    dessen Ladengalerien jede Menge Kitsch und gelegentlich auch ein wenig Kunst zu kaufen war.
    Nach rechts führte eine kleine Wohnstraße weiter, gesäumt von schmalen Reihenhäusern aus rotem
    Backstein und mit weiß lackierten Haustüren.
    »Hier entlang«, sagte er, und sie liefen an
    den Häusern vorbei, bis sie den kleinen, blauen und ziemlich verrosteten Fiat erreichten, der
    auf der linken Straßenseite parkte. Er schloss das Auto auf, und beide ließen sich mit einem
    erleichterten Seufzer auf die Vordersitze fallen.
    Aus Gwendolyns Haaren rann das Wasser, und
    ihr Kleid klebte wie ein nasser Lappen an ihrem Körper. Die wenigen Meter hatten ausgereicht,
    sie völlig zu durchweichen. Dave versuchte, seine nassen Füße zu ignorieren.
    »Dumm von mir«, sagte er. »Ich hätte das
    Auto holen und Sie an der Schule einsteigen lassen sollen. Dann wären Sie jetzt wenigstens
    halbwegs trocken.«
    »Ach was!« Endlich lächelte sie. Sie hatte
    hübsche Zähne, wie er feststellte. »Ich bin nicht aus Zucker. Und es ist in jedem Fall besser,
    nun bis vor die Haustür gefahren zu werden, als im Bus durch die Landschaft zu schaukeln und
    dann noch einen Fußmarsch vor mir zu haben. Vielen Dank.«
    »Gerne«, sagte er. Er
    unt ernahm gerade den dritten Ver such,
    seinen Wagen zu starten, und hatte endlich Erfolg. Röchelnd sprang der Motor an, das Auto
    machte einen Ruck. Mit zwei Sprüngen war es auf der Straße und fuhr stotternd los. »Das wird
    gleich besser«, sagte er, »der Wagen braucht seine Anlaufzeit. Wenn ich mit der Schrottlaube
    noch über den nächsten Winter komme, kann ich von Glück sagen.« Der Motor begann nun
    gleichmäßiger zu brummen. Für diesmal war es geschafft: Das Auto würde bis Staintondale und
    zurück kommen.
    »Was hätten Sie gemacht, wenn Sie den
    Bus nicht erwischt hätten und mir nicht begegnet wären?«, fragte er. Nicht dass ihn Miss
    Beckett besonders interessiert hätte, aber sie würden nun eine halbe Stunde lang nebeneinander
    im Auto sitzen, und er wollte nicht, dass die Situation in ungemütlichem Schweigen erstarrte.
    »Ich hätte meinen Vater angerufen«, sagte Gwendolyn. Er warf ihr einen schnellen Seitenblick
    zu. Der Klang ihrer Stimme hatte sich verändert, als sie von ihrem Vater sprach. Er war wärmer
    geworden, weniger distanziert.
    »Sie leben mit Ihrem Vater
    zusammen?«
    »Ja.«
    »Und Ihre Mutter ... ?«
    »Meine Mutter ist früh gestorben«,
    sagte Gwendolyn in einer Art, die verriet, dass sie darüber nicht mehr sagen wollte.
    Eine Vatertochter, dachte er, die
    sich nicht lösen kann. Mindestens Mitte dreißig, und Daddy ist immer noch der Einzige für

Weitere Kostenlose Bücher