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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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worden,
    der ihr zufällig begegnet ist was angesichts der Uhrzeit, zu der sie unterwegs war, als auch
    der völlig abgeschiedenen Lage der Farm nicht ausgesprochen wahrscheinlich klingt. Logischer
    erscheint die zweite Möglichkeit: Es war jemand aus der Runde, die dort Verlobung feierte -
    oder zumindest feiern wollte.«
    »Das heißt, Sie verdächtigen mich, Colin und Jennifer Brankley, Dave Tanner, Gwen und Chad
    Beckett«
    »So weit bin ich nicht. Wie gesagt, ich ordne die Dinge. Ich versuche, hinter die Kulissen zu
    blicken.«
    »Es ist absurd, Inspector. Was jeden von uns betrifft, ist es völlig unvorstellbar.«
    »Können Sie das mit solcher Sicherheit sagen? Wirklich gut kannten Sie doch bloß Gwen und Chad
    Beckett. Alle anderen waren - und sind Ihnen im Grunde fremd.«
    Über diesen Satz dachte Leslie auf der Rückfahrt nach. Sie fuhr die Küstenstraße entlang hinauf
    nach Scarborough. Es gab hier atemberaubende Ausblicke über das Meer, aber heute versperrte der
    Nebel jede Sicht. Zudem brach nun auch die Dunkelheit herein. Nebel, Finsternis,
    Kälte.
    Es passte zu einem Tag, an dem man losfahren und den Leichnam der Frau identifizieren musste,
    die die letzte lebende Verwandte gewesen war.
    Eigentlich bin ich jetzt erst wirklich allein, dachte Leslie. Sie fror, obwohl sie die Heizung
    hochgedreht hatte und es im Auto pudelwarm war. Als ich mich von Stephen trennte, gab es noch
    Fiona. Jetzt gibt es niemanden mehr.
    Sie klammerte sich an den Worten Valerie Almonds fest, um sich nicht in den Gedanken an ihre
    Einsamkeit zu verlieren. Sie hatte den ganzen Tag ohne Tränen überstanden, sie musste nicht
    jetzt noch anfangen zu heulen.
    Es stimmte, sie kannte niemanden hier außer Gwen und Chad. Wenn sie es sich recht überlegte,
    hatte sie Jennifer vom ersten Moment an als undurchsichtig empfunden. Colin allerdings auch. Er
    sah aus wie ein biederer, etwas spießiger Bankbeamter, aber irgendetwas sagte ihr, dass er das
    nicht war. Es steckte mehr in ihm, aber womöglich gelang es ihm nicht, dies auszuleben. Ein
    Mensch vielleicht, der ewig unterfordert war, ewig unterschätzt wurde.
    Aber wir haben alle unsere Schlagseiten, dachte Leslie, und das lässt uns trotzdem nicht zu
    Mördern werden. Wie würde DI Almond wohl mich charakterisieren? Frustriert, einsam, beruflich
    erfolgreich, aber privat gescheitert. Enttäuscht von den Männern, vielleicht auch enttäuscht
    vom Leben überhaupt. Schwierige Kindheit mit einer drogensüchtigen Mutter. Dann bei der
    Großmutter aufgewachsen, was immer nur ein Ersatz sein kann für eine echte, intakte
    Familie.
    Eigentlich hätte ich durchaus das Potenzial, durchzudrehen und eine alte Frau zu erschlagen.
    Valerie Almond fragt sich vielleicht, welche Rechnungen ich mit Fiona noch offen
    hatte.
    Nun war sie doch bei Fiona gelandet. Sie musste unbedingt zusehen, dass sie nicht sentimental
    wurde.
    Also, alte Rechnungen: Verdammt kalt bist du
    gewesen. Ich kann das beurteilen, denn wenn ich eine wirklich intensive Erinnerung an meine
    Mutter habe, dann die: Sie war so warm. So fröhlich. Überdreht wahrscheinlich, bis an die
    Haarwurzeln gedopt mit irgendeiner Droge, total high, aber das konnte ich damals nicht
    begreifen. Ich erinnere mich nur, dass sie mich viel anfasste. Immer in den Arm nahm. Mich an
    sich drückte. Nachts schlief ich eng an sie geschmiegt . ..
    Vorsicht, Leslie. Idealisiere sie nicht. Sie hatte Männergeschichten ohne Ende. Das weißt du
    von Fiona, aber du erinnerst dich selbst undeutlich an etliche langhaarige Typen morgens am
    Frühstückstisch. Es wird die Nächte gegeben haben, da hat sie dich gnadenlos aus ihrem Bett
    entfernt, da musstest du irgendwo anders schlafen, weil sie lieber fröhlich vögelte, als mit
    ihrem kleinen Mädchen zu kuscheln. Schlimm für ein Kind, das es anders gewohnt ist.
    Fiona verkörperte Stabilität. Alles war geordnet. Sie hätte mich nie mit in ihr Bett genommen,
    mich aber auch nicht rausgeworfen, weil ihr der Sinn nach anderem stand. Ich hatte mein Zimmer,
    ich hatte mein Bett. Alles war berechenbar. Alles war kalt.
    Sie steuerte eine Parkbucht an, deren Einfahrt sie schwach im Nebel erkennen konnte. Hielt an,
    kramte eine Zigarette hervor. Sie musste damit aufhören. An Fiona zu denken, an ihre Kindheit.
    Sie geriet auf allzu unsicheres Terrain damit. Zu schnell kam eines zum anderen, bildete einen
    gefährlichen Sog. Sie hatte gute Schutzmechanismen. Sie durften durch Fionas Tod nicht
    zusammenbrechen.
    Sie

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