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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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schielte zur Fackel und atmete so tief ein, dass sich ihre Nasenflügel blähten. Irgend etwas Entscheidendes hatte sie vor. Ich wusste nur nicht, was geschehen sollte. Noch einmal streifte uns Licht. Zudem hatte ich den Eindruck, nicht von der Stelle zu kommen, weil das Gewässer plötzlich ruhiger geworden war. Viviana schien nur darauf gewartet zu haben, denn sie tat etwas, das mich diesmal vollkommen überraschte. Die junge Spanierin hob beide Arme und brachte ihre Hände dorthin, wo eine breite Spange den Mantel zusammenhielt. Die öffnete sie.
    Augenblicklich klaffte der Mantel auseinander. Nach links und rechts fielen die beiden Hälften weg, und ich sah, dass Vivianas Körper bis auf ein knappes seidig schimmerndes Stück Stoff um die Hüften nackt war… Ich schluckte, sie lächelte, öffnete den Mund fragte plötzlich: »Weißt du nun, was ich von dir will, Fremder?«
    Im gleichen Augenblick bekam die Knochenbarke einen Schub, wurde auf die Flussmitte zugetrieben, und die Finsternis schlug über uns zusammen wie eine dunkle Decke…
    ***
    Senora Marquez stand am Ufer des Flusses, hatte das rechte Bein vorgeschoben und machte den Eindruck, als wollte sie auch noch auf das Boot springen, was nicht mehr möglich war, denn die Knochenbarke trieb bereits in der Mitte des Flusses und folgte, immer schneller werdend, dem Verlauf der Strömung.
    Bill und Suko standen so nahe beisammen, dass sie sich unterhalten konnten, ohne dass es groß auffiel.
    Der Reporter lachte leise. »Das war wohl nicht Sinn der Sache. Sie ist ihr entwischt.«
    »Fragt sich nur, ob die Senora die Nerven behält?«
    »Wie meinst du das?«
    »Kann sein, dass sie durchdreht und ihre Wut an uns auslässt. Die vier Typen folgen ihr aufs Wort.«
    »Shit, und wir sind ohne Waffen.«
    »Nicht ganz.«
    »Hast du noch den Stab?«
    »Kein Wort mehr!« zischte Suko, der gesehen hatte, dass sich die Frau wieder umdrehte und sich ihr Blick auf die beiden Männer einpendelte, die auch weiterhin von den Mündungen der vier Gewehre bedroht wurden.
    Die Spanierin warf keinen Blick mehr auf den dahinschäumenden Fluss, sie kam auf Suko und Bill zu, ohne allerdings in die Schusslinie zu laufen. Blass war ihr Gesicht geworden, fast so bleich wie die grauweißen Haare, die helmartig ihren Kopf umrahmten. Der Mund zog sich noch mehr in die Breite, als sie anfing zu reden. »Ich habe Pech gehabt«, sagte sie. »Ich hätte es wissen müssen, dass meine Tochter so ist. Ich war früher nicht anders.«
    »Wie meinen Sie das denn?« wollte Bill wissen. »Sagen Sie bloß, Sie hätten nicht gewusst, was ihre Tochter vorhatte?«
    »Nein.«
    »Das sollte…«
    »Halt deinen Mund, Bastardo!« Plötzlich war die Frau außer sich, und auch ihre beiden Leibwächter spannten sich, um sofort eingreifen zu können. Der Zwerg ließ seine Killerkugel bereits kreisen, und der Mann mit der Eisenmaske hob die Klinge an.
    Doch die Frau winkte ab. »Noch nicht«, flüsterte sie. »Etwas Zeit nehmen wir uns.« Dann lachte sie und deutete mit einer herrischen Geste auf den Fluss. »Viviana soll nur nicht meinen, dass es ihr besser ergeht, wenn sie sich ihm an den Hals wirft. Das andere Ufer der Nacht wird auch sie verschlingen, nicht nur die, die wir ihm geschickt haben. Wie oft habe ich ihr das gesagt.«
    »Die Liebe ist eben stärker«, bemerkte Bill.
    Senora Marquez fuhr herum. »Was hast du gesagt? Liebe? Nein, es ist keine Liebe, das ist Leidenschaft. Eine verfluchte momentane Leidenschaft, die sie in alle Ewigkeiten bereuen wird. Darauf kann sie sich verlassen. Und ihr euch auch!«
    In diesem Zustand war die Frau unberechenbar. Bill beschloss, sie nicht weiter durch Worte zu reizen. Er hielt sich zunächst einmal bedeckt. Die Marquez aber erstickte fast an ihrer Wut. Sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg, aber sie würde es nicht schaffen, ihre Tochter wieder zurückzuholen. Es sei denn, sie fuhr mit einem schnelleren Boot hinterher.
    Mit leerem Blick starrte sie auf einen Punkt in der Ferne, den nur sie allein zu sehen schien. »Der Fluch«, flüsterte sie. »Der Fluch unseres Geschlechts. Jetzt hat er uns getroffen…«
    Senora Marquez war nicht mehr die Jüngste, aber in diesen Augenblicken wirkte sie wie eine alte Frau, die kurz vor dem Zusammenbruch stand. Sie hatte fest auf ihre Tochter gesetzt, im Prinzip konnte sie sich auch jetzt noch auf sie verlassen, aber wie sie reagiert hatte, das passte der Mutter überhaupt nicht.
    Nur langsam drückte sie sich aus ihrer

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