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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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waagerecht an dem Griff entlang. Wenn wir sie passiert hatten, würde uns die Finsternis umfangen.
    Was geschah dann?
    Meine Gedanken wurden unterbrochen, weil sich das Mädchen bewegte. Es stand ruckartig auf, behielt breitbeinig das Gleichgewicht und hatte genau gewusst, dass wir in ruhigere Gewässer hineinfuhren, wo man auch auf den Knochen stehen konnte.
    Eine Hand hob es hoch und schleuderte die dunkle Mantilla weg. Wie eine übergroße dunkle Fledermaus flatterte der Stoff über Bord, bevor das Strudeln des Wassers ihn in die Tiefe zerrte.
    Im nächsten Augenblick fasste sie mich an. Ich spürte ihre Hände auf meinen Schultern, merkte den Druck der acht Finger, und sie kam dabei zwangsläufig so nahe, dass ich ihren frischen Geruch wahrnehmen konnte, den die Haut ausströmte. Sie roch so, als wäre sie gerade aus der Badewanne gekommen.
    In den Augen spiegelte sich die Glut der zweitletzten Fackel. Geheimnisvoll wie tiefrote Seen sahen sie aus, doch ich ließ mich von diesem Anblick nicht ablenken und fragte: »Was willst du?«
    Die Antwort kam prompt. »Deine Freunde habe ich nach Waffen untersucht, dich aber noch nicht.«
    »Das ist auch nicht nötig. Schließlich bin ich gefesselt.«
    »So etwas musst du schon mir überlassen«, erklärte sie und griff unter meine dunkelrote Jacke, die ich mir erst vor zwei Tagen im Ausverkauf geholt hatte.
    Natürlich fand sie die Beretta sofort und zog sie auch mit einem heftigen Ruck aus der Halfter. Dicht hielt sie die Pistole vor mein Gesicht, wobei ihr Finger schon den Abzug berührte. Ich warnte sie. »Vorsicht, Mädchen, die kann leicht losgehen.«
    »Ich weiß.« Sie drückte den Arm nach unten, dann zur Seite und ließ die Waffe in einer ihren beiden unergründlich scheinenden Taschen des langen Mantels verschwinden.
    »Sind da auch die anderen Schießeisen?« fragte ich.
    »Genau. Und ein Schlagstock.«
    Damit konnte ich nichts anfangen. Dass sie Sukos Peitsche gemeint hatte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
    Bisher hatte sie mich durch ihre Anwesenheit und Tätigkeit abgelenkt. Nun spürte ich wieder den gemeinen Druck der Fesseln, der es auch schaffte, das Blut in den Adern zu stauen. In den Händen besaß ich kaum noch Gefühl, dafür schmerzten die Gelenke und Unterarme.
    »Kannst du die Fesseln nicht lockern?« fragte ich direkt.
    Viviana war überrascht. Sie hielt sich an meiner Schulter fest, um auf der schwankenden Barke nicht umzufallen. »Ich soll dir die Fesseln abnehmen?« fragte sie.
    »Nein, für den Anfang nur lockern.«
    Ich hatte mit einer scharfen Erwiderung oder noch etwas Schlimmerem gerechnet, sie aber sagte zu meiner Überraschung: »Wir werden sehen. Möglich ist alles.«
    Das ließ mich hoffen. Zunächst aber musste ich es hinnehmen, dass sie mich weiter untersuchte. »Du trägst doch bestimmt noch mehr Waffen bei dir, oder?«
    »Kaum.«
    »Ich werde sie finden.«
    So wie sie mich abtastete, war ich noch nie nach Waffen untersucht worden. Die Hände dieser jungen Spanierin waren schmeichelnd, streichelnd und so tastend, dass ich auf andere, angenehmere Gedanken kam. Plötzlich hielten die Finger inne. Sie hatte etwas gefunden. »Was ist das?« fragte sie und tastete mit Daumen und Zeigefinger der Rechten die Umrisse meines vor der Brust und unter dem Pullover hängenden Kreuzes nach. Ich sagte es ihr.
    »Ein Kreuz?« Sie verzog die Mundwinkel. Im schwachen Licht wirkte es so, als wollten sich Schattenstreifen in ihre Wangen eingraben. »Wozu brauchst du ein Kreuz?«
    Ich war natürlich nicht so dumm, ihr die volle Wahrheit zu verraten, deshalb suchte ich nach einer passenden Ausrede und hoffte, dass mir diese abgenommen wurde. »Es ist ein Talisman…«
    Sie lachte mich an. »So etwas trägst du? Das hätte ich nie von dir gedacht. Talisman…« Sie schüttelte sich. »Dazu noch ein Kreuz, nein, das ist nichts.«
    Ich hielt mich zurück und war nur froh, dass sie mir das Kreuz nicht abnahm. Andererseits besaß sie davor keine Furcht. Für mich ein Beweis, dass es sich bei dem Mädchen um keine Dämonin handelte, sondern um einen Menschen, der in ein schwarzmagisches Verwirrspiel hineingeraten war.
    Die letzte Fackel erschien. Hinter ihr ballte sich die Finsternis zusammen. Wir würden mit unserem Knochenschiff in einen unheimlichen Tunnel stoßen, wo die Strömung mit uns spielen und uns irgendwann an Land treiben würde.
    Viviana war wieder zurückgetreten. Ungefähr ein Schritt trennte uns. Den Blick hielt sie auf mich gerichtet,

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