Das andere Ufer der Nacht
Glück drangen sie leicht über meine Lippen, wobei ich hoffte, dass das Mädchen sie mir auch abnahm. Noch tat sich nichts. Die Waffenmündung drückte weiterhin gegen das Fleisch an meiner linken Wange.
Dann hörte ich sie reden. »Es ist gut, ich glaube dir. Aber ich werde die Pistole in der Hand behalten, während ich mich dir hingebe. Komm nur nicht auf falsche Gedanken.«
»Nein, nein.«
Endlich verschwand der Druck. Wo Viviana stand, sah ich nicht, aber ich nahm den Geruch ihres Körpers wahr. Die Spanierin hielt sich dicht vor mir auf. Am Klang ihrer Stimme hörte ich, dass sie in die Knie gesackt war, als sie die nächsten Worte sprach. »Das Boot ist breit genug, wir können uns niederlegen.«
Auf Gebeine, fügte ich in Gedanken hinzu und schüttelte mich. Das war schon fast Wahnsinn! Viviana war so davon überzeugt, ihr Ziel zu erreichen, dass sie sämtliche moralischen Bedenken über Bord geworfen hatte.
»Ich liege bereits«, hörte ich sie sprechen. »Du brauchst nur zu mir zu kommen, aber denke daran, ich ziele in deine Richtung. Die Kugel wird dich auch in der Dunkelheit kaum verfehlen.«
»Das weiß ich.«
»Dann komm her!«
Sie redete in einem befehlenden Ton. Ich dachte darüber nach, wie ich die Beretta an mich bringen konnte, ohne dass mich eine Kugel erwischte. Ich würde zunächst auf ihr Spiel eingehen und dann… Nein, das brauchte ich nicht. Etwas anderes kam uns zuvor. Ein unheimlicher Vorgang, denn plötzlich sahen wir Licht. Ein rötlicher Schein breitete sich aus und erfasste die gesamte Länge der Totenbarke.
Abgegeben wurde er von den beiden Totenschädeln am Bug des Schiffes und auf der Mastspitze…
***
Bill und Suko hatten die Worte der Frau zwar gehört, sie waren aber kaum in der Lage, diese Sätze nachzuvollziehen. Was man ihnen da gesagt hatte, war einfach zu ungeheuerlich und auch unglaublich, um daran nicht zweifeln zu können.
»Das ist doch nicht wahr!« sagte der Reporter. »Es stimmt!«
»Und Sie haben es gewusst?« fragte Suko.
»Nein.«
»Dann kennen Sie auch Ihre Tochter nicht. Sie hätten sie nicht mitnehmen sollen. So werden wahrscheinlich beide sterben, wenn man Ihren Worten trauen kann.«
Die Senora gab keine Antwort. Sie stand auf dem Fleck und starrte mit stumpfem Blick zu Boden. Für sie war eine Welt zusammengebrochen, sie sah sich von ihrem eigenen Blut getäuscht. »Wie ich«, flüsterte sie.
»Verdammt, sie ist wie ich, als ich noch jung war. Nichts kann sie aufhalten, und sie wird ihn dazu überreden. Wir haben die Macht, wir schaffen es, unser Wille ist wie Eisen.«
»Könnte man sie nicht zurückholen?« fragte Bill.
»Es ist zu spät.«
»Dann müssten wir ihnen nach.«
»Auch das geht nicht, weil es kein zweites Boot mehr gibt. Sie werden das andere Ufer der Nacht erreichen und das Jenseits kennen lernen. Ich hoffe nur, dass die Kräfte dort sich daran erinnern, was unsere Familie in der letzten Zeit für sie getan hat.«
»Und das gegenüberliegende Ufer des Flusses ist das Jenseits?« erkundigte sich Suko noch einmal.
»Natürlich.«
»Das hieße also, dass wir einfach hinüberschwimmen könnten, um es zu erreichen.«
Die Senora hob den Kopf und starrte den Inspektor an, als hätte er etwas Verbotenes gesagt. »Sag mal, bist du des Wahnsinns? Das geht nicht, so etwas kann man nicht so einfach schaffen, das solltest du wissen. Auf der anderen Seite des Flusses befinden sich Felsen, dort ist nicht das andere Ufer der Nacht. Du musst erst fahren, hineingeschoben werden in andere Reiche und eine andere Welt. Dann kannst du es erleben. Aber so weit wird es nicht kommen.«
»Was haben Sie denn jetzt vor?«
Die Frau lachte. »Schaut euch um, hier sind sechs Männer, die darauf warten, meine Befehle auszuführen. Vier von ihnen sind mit Gewehren bewaffnet, die anderen beiden besitzen Waffen, die nicht weniger gefährlich sind. Der Morgenstern ist ebenso tödlich wie das Schwert, wenn es richtig geführt wird, und das versteht der Mann mit der Eisenmaske.«
»Ist er überhaupt ein Mensch?« erkundigte sich Suko.
»Ja, mein Vertrauter. Er ist ein Diener unserer Familie. Er geht für uns durchs Feuer.«
»Dann tötet er auch?«
»Sicher.«
Ramon, der Mann mit der Baskenmütze, mischte sich ein.
»Entschuldigen Sie, Senora, wenn ich mich einmische. Aber ich meine, dass wir mit Reden nicht weiterkommen.«
»Wie dann?«
»Wir sollten die beiden ausschalten.«
»Töten also?«
»Sicher, und ihre Leichen in den Fluss werfen, damit
Weitere Kostenlose Bücher