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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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und es sah so aus, als wollte sie etwas sagen. Trotzdem dauerte es noch eine Weile, bis sie fragte: »Weißt du, wie das ist, wenn man stirbt?«
    »Nein, ich lebe ja.«
    »Es war dumm, klar, aber ich habe mich oft damit beschäftigt, weil ich mich in die Lage derjenigen versetzen wollte, die meine Mutter über den Fluss schickte. Es muss grausam sein.«
    »In der Regel, ja, aber manchmal kann der Tod auch eine Erlösung sein. Bei Schwerkranken, zum Beispiel.«
    »Ich fühle mich zu jung.«
    »Wem sagst du das?«
    Sie senkte den Kopf. »Dabei bin ich nur den Gesetzen unserer Familie gefolgt. Wir haben Schlimmes getan. Unsere Vorfahren waren grausam. Ihr Erbe müssen wir abtragen. Wir sind verflucht dazu, Nachwuchs zu haben. So lange, bis uns die andere Seite zu erkennen gibt, dass unsere Schuld abgetragen ist.«
    »Wann kann das sein?«
    »Ich weiß es nicht.« Viviana schüttelte den Kopf. »Vielleicht in einem Jahr, in zehn oder in hundert. Wer von uns Menschen kennt schon das Jenseits und dessen Gesetze?«
    Ich war mir nicht einmal sicher, ob wir im Jenseits landeten, tat aber vorbeugend etwas, holte das Kreuz hervor und ließ es offen über der Kleidung hängen.
    Mittlerweile konnte ich das andere Ufer besser erkennen. Ich machte eine Wand aus, sehr dunkel, fast schwarz, drohend und abstoßend wirkend. Aber ich sah keine Stelle, an der unser Boot hätte anlegen können, denn die Wand fiel senkrecht zum Wasser hin ab. So trieben wir weiter über einen Fluss, dessen Wasser eine dunkle Färbung angenommen hatte. Es war fast so schwarz geworden wie die Umgebung. Nur manchmal rollte über die Oberfläche ein schaumiger Streifen hinweg.
    Viviana streckte ihre Hand aus. »Da, sieh doch!«
    Ich schaute hin und glaubte auch, nahe der Wand oder sogar in ihr ein Gesicht zu sehen. Nur für einen Moment, dann verschwand es wieder im Dunkel der Umgebung.
    »Sie haben uns gesehen und erwartet!« hauchte das Mädchen. »Wir werden von ihnen in Empfang genommen werden, um anschließend den Tod zu erleiden. So genau wird es sein.« Sie schluckte und holte tief Atem. »Halt mich fest, wenn wir jetzt anlegen, bitte…«
    Ich tat ihr den Gefallen. Mochte sie mich auch zuvor noch so bedrängt haben, im Augenblick war Viviana nur mehr ein schutzloses Wesen, das starke Angst hatte.
    Wir bekamen den ersten Stoß. Ein Beweis, dass die Knochenbarke Kontakt bekommen hatte. Sie glitt an einem glatten Felsen mit der Steuerbordseite entlang, und abermals tauchte ein Hindernis auf, das aus einem runden Felskopf bestand, der vom sprudelnden Wasser umschäumt wurde.
    Mit dem Bug stieß das Boot dagegen. Im Knochengefüge begann es leicht zu knirschen, ich rechnete mit einem Wassereinbruch, aber die Gebeine hielten.
    Und wir gerieten in sehr ruhiges Wasser, denn jenseits des Felsens öffnete sich plötzlich eine winzige Bucht, in die uns die nachlassende Kraft der Strömung hineinschob. Die Wände waren ebenfalls nicht mehr zu sehen. Als wären sie von großen Kräften zur Seite gedrückt worden. Still war es geworden. Das Rauschen des Wassers lag hinter uns. Wir machten nur noch sehr langsame Fahrt und entdeckten beide so etwas wie einen schmalen Strand.
    So sollte das Jenseits aussehen? Ein Flussufer mit einer kleinen Bucht und einem winzigen Strandstreifen.
    Nein, keinesfalls. Da hatte die Mutter ihrer Tochter ein gewaltiges Lügenmärchen aufgetischt. Schon jetzt war ich davon überzeugt, überall gelandet zu sein, nur nicht im Jenseits, wo nach der Legende die Seelen der Verstorbenen eingingen.
    Das Jenseits war nach meinen Vorstellungen etwas anderes. Ein Gebiet, das sich nicht eingrenzen ließ. Man konnte es nicht erklären, ebenso wenig wie die Hölle, man musste es akzeptieren. Nur nicht so, wie wir es hier sahen.
    Das begriff auch meine Begleiterin. Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, hauchte sie. »Das kann nicht sein. Das andere Ufer der Nacht ist nicht das Jenseits. Wir können das Boot verlassen und es betreten…«
    Sie wollte aufstehen und das Boot schon verlassen, ich aber drückte sie zurück. »Nur keine Panik, Mädchen, nichts überstürzen. Auch wenn wir es anders sehen als deine Mutter, vorsichtig müssen wir trotzdem sein. An diesem Ufer lauert etwas, wir haben das Gesicht gesehen, also müssen wir Acht geben.«
    »Gut.« Kaum hatte sie gesprochen, als das Boot schon anstieß. Mit dem Bug schabte es über den flachen Strand, der aus einem Teppich flacher Steine bestand. Im Licht der leuchtenden Totenköpfe hatte er einen

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