Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
hob er Gret ein Stückchen an und schob ihren Oberkörper von sich weg. Für einen Moment konnte Elisabeth sein steif aufgerichtetes Geschlecht sehen. Dann senkten sich die Hinterbacken in einer wiegenden Bewegung herab und verschlangen es. Gret stöhnte leise, und Elisabeth entschlüpfte ein Aufschrei. Der Mann setzte sich mit einem Ruck auf, Gret noch immer umfangen.
Das war nicht Meister Thomas. Das war ihr Bruder Georg, der sie entsetzt aus großen Augen anstarrte. Sie empfand gleichzeitig Erleichterung und Wut. Wie konnte er es wagen, sich an ihrer Magd zu vergreifen! Hatte sie ihm nicht deutlich gesagt, dass Gret nicht zu haben sei und sie es nicht dulden würde, wenn er ihre Wünsche nicht respektierte?
»Elisabeth!«, stieß Georg aus. »Was hast du hier um diese Zeit zu suchen? Spionierst du mir nach? Geh in deine Kammer!«
Hatte sie bis dahin gedacht, das Entsetzen habe sie sprachlos
gemacht, fühlte sie nun, wie zornige Worte in ihr aufstiegen, die sie ihm ins Gesicht schleudern wollte.
»Du hast mir nichts zu befehlen! Ich hatte nur Durst und kam in dem unschuldigen Gedanken, einen Becher Milch zu trinken, hier herunter in die Küche – aber was muss ich hier vorfinden? Vor Entsetzen und Zorn weiß ich nicht einmal, wie ich es nennen soll. Schande, mein Bruder!«
»Was? Bist du verrückt? Verschwinde von hier, aber schnell!«
»Damit du dich weiter an meiner Magd – an meiner Freundin vergehen kannst, die ich zu schützen versprochen habe? Nein! Auch nicht, wenn du dich mein Bruder nennst. Gib sie sofort frei, und schwöre, dass du niemals wieder auch nur einen Blick auf sie werfen wirst!«
Ihr Bruder schwankte zwischen fassungslos und zornig. »Was geht dich das an? Bist du zur Betschwester geworden, die mir meine Sünde vorwerfen will?«
Elisabeth keuchte. »Du fragst, was es mich angeht? Es geht jeden an, der einen Funken Anstand in sich spürt. Durch alle Welt sollte ein Aufschrei gehen, dass niemals wieder einer Frau Gewalt angetan wird. Wenn du nicht einmal verstehst, was ich dir vorwerfe, dann bist du nicht besser als all der Abschaum, der sich durch unser Land wälzt. Als abgerissene Söldner und stinkende Handwerker, als versoffene Taugenichtse und brutale Schläger, die alle eines mit wohlanständigen Bürgern und gar Kirchenmännern gemein haben: Es gibt etwas, das unter ihnen steht, das Weib, dem sie jederzeit ungestraft Gewalt antun dürfen und das sich stumm zu fügen hat. Ob sie nun ein paar Münzen für dieses Vergnügen bezahlen oder nicht, das tut nichts zur Sache.«
Nun war ihr Bruder völlig verwirrt, sodass er gar seinen Zorn vergaß. »Jetzt ist sie übergeschnappt«, sagte er leise und wollte Gret von seinem Schoß schieben, aber die Magd legte ihre Beine um ihn und wandte sich nur halb zu Elisabeth um.
»Es ist genug«, sagte sie leise, aber fest. »Du irrst dich. Hier geschieht nichts, das dein Eingreifen erfordern würde. Gehe jetzt und schließe die Tür!«
Elisabeth schnappte nach Luft. »Wie redest du denn mit mir?«
Gret blieb ruhig, sah sie jedoch durchdringend an. »So, wie es angemessen ist, wenn jemand ungefragt hereinplatzt und zwei sich Liebende stört.«
»Zwei sich Liebende?«, wiederholte Elisabeth stotternd. Was für eine seltsame Formulierung für diesen Akt der Erniedrigung, bei dem dem Körper und der Seele der Frau Gewalt angetan wird.
»Ja, zwei Liebende, und nun lass uns alleine. Wir können morgen darüber sprechen, wenn du es wünschst.«
Elisabeth taumelte zurück und zog die Küchentür ins Schloss. Sie schwankte und musste sich an der Wand abstützen, als sie die Stiege hochkletterte. Ihre Welt war wieder einmal aus ihren fest gefügten Fugen geraten. Hatte ihre Magd, die sie vor der Gewalt ihres Bruders retten wollte, sie gerade des Zimmers verwiesen und sich eine Störung verbeten? Wie konnte das sein? Den Gedanken, ihr Bruder habe Gret so bedroht und eingeschüchtert, dass sie diese Worte benutzt hatte, verwarf sie. Nein, so hatte die Magd nicht auf sie gewirkt. Außerdem war sie nicht der Typ, der sich leicht einschüchtern ließ. Nein, Elisabeth hatte sie in verschiedenen gefährlichen Situationen stets mutig erlebt. Mutig und bereit, für sich selbst, aber auch für Recht und Wahrheit einzutreten.
Elisabeth ließ sich in ihr Bett sinken und zog rasch die Decke über sich, wie um sich zu schützen. Ihre Gedanken kreisten wild und peitschten in stürmischen Wellen durch ihren Geist. Sie verstand das alles nicht und fühlte nur den
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