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Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Titel: Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Schmerz der vielen schrecklichen Erinnerungen, von denen sie gehofft hatte, sie erfolgreich in einen finsteren Winkel verdrängt zu haben. Erst in den frühen Morgenstunden fand sie Schlaf,
und als sie wieder erwachte, fühlte sie sich elend und wie zerschlagen.
     
    »Was soll das heißen, du willst nicht aufstehen und auch nicht zum Frühmahl mitkommen?«, erkundigte sich Jeanne und beugte sich besorgt über Elisabeth, die sich in ihrem schmalen Bett verkroch, die Decke bis über das Kinn gezogen.
    Jeanne öffnete die Fensterläden und betrachtete ihre Herrin im Schein der Morgensonne kritisch.
    »Es ist nichts Schlimmes. Ich will heute nur kein Frühmahl, das ist alles«, widersprach Elisabeth.
    »Du bist aber blass und siehst nicht besonders gut aus«, sagte Jeanne mit Besorgnis in der Stimme. Sie legte ihr die Hand auf die Stirn. »Heiß fühlst du dich allerdings nicht an. Vielleicht sollte Meister Thomas mal nach dir sehen?«
    »Auf keinen Fall!« Elisabeth sprang so schnell aus dem Bett, dass sie fast gestürzt wäre. Jeanne fing sie auf. Der Gedanke, dass Meister Thomas seinen forschenden Blick auf sie richtete und die furchtbare Geschichte der Nacht aus ihr herauszuholen versuchte, war entsetzlich. Wobei sich die Frage stellte, ob ihr Bruder gar von sich aus mit ihm darüber gesprochen hatte. Taten Männer so etwas? Sie waren Freunde und teilten viele Gedanken miteinander.
    Die Vorstellung ließ Übelkeit in ihr aufsteigen, sodass sie sich fragte, ob es nicht wirklich besser war, auf das Frühmahl zu verzichten. Sie wollte ihren Bruder nicht sehen und Gret auch nicht! Da aber Jeanne nun laut zu überlegen begann, ob sie den Bader oder einen richtigen Arzt holen sollte, damit er sich Elisabeth ansähe, befahl sie barsch, ihr beim Ankleiden zu helfen, und stieg dann forschen Schrittes zur Stube hinunter. Die anderen waren schon da; also grüßte sie mit gesenktem Blick und rutschte auf ihren Platz. Schweigend löffelte sie etwas Mus. Auch Gret und Georg sagten nicht viel. Meister Thomas sah von einem zum anderen.
    »Ist etwas geschehen?«
    Jeanne, die hinter Elisabeth eingetreten war, hob die Schultern. »Elisabeth fühlt sich nicht wohl, und ich fürchte, sie ist nicht die Einzige. Wir werden uns doch nicht zu den ersten kühlen Tagen ein Fieber ins Haus geholt haben? Noch höre ich allerdings niemanden husten, und keiner klagt über Schmerzen im Hals.«
    »Dann warten wir es ab«, meinte der Apotheker, schlug aber vor, er würde einen Kräutersud ansetzen, von dem jeder einen Becher trinken sollte.
    »Solange er heiß ist«, fügte er hinzu. »Dann ist die Wirkung am besten.«
    Die anderen nickten. Anscheinend wollte keiner widersprechen oder ihn darauf hinweisen, dass keinesfalls eine heraufziehende Erkältung die Stimmung trübte.
    Später, als sich die anderen zurückgezogen hatten und nur noch Gret zurückblieb, um die Schalen einzusammeln und den Tisch abzuwischen, stellte Elisabeth sie zur Rede. Sie schloss die Tür und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Holz.
    »Hast du mir gar nichts zu sagen? Ich kann ja verstehen, wie es dazu gekommen ist. Georg hat schon eine Weile ein Auge auf dich geworfen; allerdings dachte ich, er würde sich mehr um meine Worte kümmern, und du kannst mir glauben, dass ich ihm sehr deutlich gesagt habe, er solle es nicht wagen, Hand an eine meiner Mägde zu legen. Aber sage mir, warum hast du ihn verteidigt? Du warst nie leicht einzuschüchtern. Erkläre mir das! Ich verstehe das einfach nicht. Wie kamst du dazu, so etwas zu sagen?«
    Gret nahm den Lappen vom Tisch und richtete sich auf. Sie sah Elisabeth in die Augen. »Weil es die Wahrheit ist, die du nicht erkennen willst.«
    »Dir wurde Gewalt angetan! Dachtest du, weil er mein Bruder ist, könnte ich dich nicht vor ihm schützen?«
    Gret stieß einen ärgerlichen Laut aus. »Mir wurde keine Gewalt angetan! Sah dies etwa so für dich aus? Mach die Augen auf, und sieh hin, statt dir die Welt aus deinen getrübten Erinnerungen zusammenzubauen. Georg wollte es, und ich wollte es auch, das ist das ganze Geheimnis. Es geht nur ihn und mich etwas an, und deshalb habe ich dich hinausgeschickt.«
    Elisabeth starrte ihre Magd ungläubig an. »Du hast es freiwillig getan? Du, die mir einmal sagte, kein Mann werde jemals wieder Hand an dich legen? Das kann und will ich nicht glauben.«
    Gret hob die Schultern. »Man darf seine Meinung ändern. Ich will nur niemals wieder zulassen, dass andere bestimmen,

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