Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Flur zu wischen.« Sie griff nach der Scheuerbürste und begann wieder zu arbeiten. Elisabeth sah ihr noch einige Augenblicke zu, dann ging sie in ihr Gemach zurück, um bei einer Stickarbeit dem quälenden Strom ihrer Gedanken zu lauschen.
Kapitel 20
D u musst zum Zabelstein zurückfahren.« Mit diesen Worten begrüßte Georg seine Schwester ein paar Tage später, noch ehe ihr Morgengruß verklungen war.
»Was? Warum?« Sie ließ sich auf ihren Sitz fallen. »Ist etwas geschehen?«
Georg schaufelte sich seinen Teller voll. »Nein, geschehen ist nichts, aber ich muss für einige Tage nach Ochsenfurt. Ich schiebe es nun schon eine Woche hinaus, weil ich dich hier nicht alleine lassen kann, aber nun muss es sein, will ich das Geschäft nicht verderben. Außerdem rückt die nächste große Reise näher, und dann musst du so oder so zurück.«
Elisabeth sah zu Meister Thomas hinüber. Wie nahm er die Nachricht auf? Würde er sie vermissen, oder war es ihm einerlei? Natürlich, ihre geschickten Hände würden ihm fehlen, doch das sollte nicht das Einzige sein, was er an ihr schätzte. Warum sagte er nichts? Warum protestierte er nicht, statt sie nur mit diesem seltsamen Blick anzusehen?
»Ich will aber noch nicht zurück«, protestierte Elisabeth. »Das reicht immer noch, wenn du zu deiner großen Reise aufbrichst. Wegen der paar Tage in Ochsenfurt müssen wir doch nicht abreisen.«
»Du weißt, dass du nicht hierbleiben kannst, wenn ich nicht da bin. Darüber haben wir bereits gesprochen. Da spielt es keine Rolle, ob ich nur ein paar Tage in Ochsenfurt weile oder ein Jahr in China. Es schickt sich nicht, und das weißt du so gut wie ich«, gab Georg ärgerlich zurück.
»Kommt Meister Thomas denn nicht mit?«
»Doch, das tut er, und das heißt, du wärst mit deinen beiden Mägden hier alleine. Außerdem hat der Bischof bereits dreimal nach dir geschickt.«
Elisabeth fand es bemerkenswert, dass auch Georg sich scheute, ihn Vater zu nennen. Außerdem fragte sie sich, woher er von den Schreiben wusste. Hatte sie sie nicht alle ins Feuer geworfen?
Trotzig verschränkte sie die Arme. »Wenn ich nicht hierbleiben kann, dann werde ich euch eben nach Ochsenfurt begleiten. Wir haben August, das Wetter ist warm, die Straßen sind trocken, und Ochsenfurt liegt nicht am Ende der Welt. Was also könntest du dagegen einwenden?«
»Dass es für Euch auf der Landstraße gefährlich werden könnte, wohl kaum«, mischte sich Meister Thomas ein. »Wir werden in Begleitung einer Bürgerwehr von dreihundert Mann reisen.«
Georg warf ihm einen sauren Blick zu. »Fällst du mir in den Rücken, Thomas?«
Der Apotheker schüttelte den Kopf. »Aber nein. Warum sollte deine Schwester nicht eine kleine Reise unter deinem Schutz unternehmen, wenn die Umstände keine Widrigkeiten aufzuweisen haben, die dagegen sprechen?«
Elisabeth sah, dass Georg zu Widerspruch ansetzte, doch dann blieb sein Blick an Gret hängen. Er lächelte kaum merklich, ehe er wieder seine Schwester fixierte.
»Nun gut«, gab er nach und suchte vergeblich nach einem mürrischen Tonfall. »Aber trödelt morgen nicht herum. Wir brechen beim ersten Licht des Tages auf. Wir können keine Rücksicht auf die Empfindlichkeiten von euch Frauen nehmen.«
Elisabeth war viel zu erleichtert, um ihrem Bruder seiner letzten Worte wegen zu sehr zu zürnen. Immerhin hatte sie jetzt noch eine Gnadenfrist erhalten, ehe sie sich für lange
Zeit zumindest von ihm würde verabschieden müssen. Sie sprang auf, obwohl sie ihre Schale noch nicht geleert hatte, und lief in ihr Gemach, um Jeanne Bescheid zu geben.
»Wie lange werden wir dort bleiben? Welche Gewänder wirst du brauchen? Gibt es offizielle Feiern, auf die du deinen Bruder und Meister Thomas begleiten wirst?«
Elisabeth zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Das habe ich Georg nicht gefragt.«
Jeannes Finger wies zur Tür. »Dann geh und frag ihn. Wie soll ich sonst die richtigen Dinge für dich einpacken?«, befahl das sonst so sanfte Kammermädchen energisch.
Elisabeth lächelte. »Ich folge deinem Befehl! Und ich werde ihn auch gleich fragen, welche Schätze er in seinen Kisten mit sich führt, dass wir eine Eskorte von dreihundert Bewaffneten benötigen!«
Noch ehe es richtig hell wurde, versammelten sich die Reiter aus Würzburg, um nach Ochsenfurt aufzubrechen. Georg hatte das Missverständnis aufgeklärt und seiner Schwester lachend gestanden, dass er leider keine Reichtümer besitze, die es
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