Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
der rechte Zeitpunkt. Es gab zu viele Zuhörer in der Halle, die sich begierig auf jedes Wort stürzen würden, sollte der Bischof im Zorn seine Stimme erheben. So wechselte sie lieber das Thema.
»Was habt Ihr nun hier in Karlstadt vor?«
Der Bischof ließ sich ablenken. Er öffnete die fleischigen Lippen zu einem süffisanten Lächeln. »Nun, da die Gefangenen verteilt sind, die mir so unverhofft und zahlreich in die Hände gefallen sind, werde ich mich um den schlimmsten meiner Widersacher kümmern! Und ich sage dir, wenn ich ihn erst in Händen halte, werde ich dafür sorgen, dass er mir niemals wieder in die Quere kommt!«
»Euer schlimmster Widersacher?«, wiederholte Elisabeth mit einem Zittern in der Stimme. »Albrecht?«
Der Bischof sah sie verblüfft an. »Der Wertheimer? Nein, wie kommst du auf den Gedanken? Ja, er ist lästig und spurt nicht so, wie er sollte, aber das werde ich beizeiten schon noch regeln. Nein, wer mir wirklich ein Stachel in meinem Fleisch ist, ist der abgesetzte Dechant, der, statt sich in Demut zurückzuziehen, weiter und weiter gegen mich intrigiert und meine Bürger gegen mich aufwiegelt.«
»Reichard von Masbach«, sagte Elisabeth und nickte nachdenklich. Ihre Frage, ob der Bischof wusste, wie nah ihm sein Widersacher im Augenblick war, beantwortete er sogleich.
»Das war ein entscheidender taktischer Fehler, auf der Karlburg zu bleiben!« Der Bischof rieb sich die Hände. »Nun, meine Tochter, willst du eine Wette wagen? Wie lange wird mir die Burg standhalten? Nachdem die Männer des Wertheimers gerade erst abgezogen sind, glaube ich nicht, dass ihre Keller besonders üppig gefüllt sind. Außerdem habe ich mir sagen lassen, der Amtmann der Burg, Sebastian von der Than, ist kein wahrer Kämpfer. Er ist zu weich und unentschlossen, als dass er großem Druck lange standhalten würde. Nun, was sagst du? Ich meine, es dauert keine Woche, bis sie aufgeben. Meine Männer haben die Burg bereits vollständig eingeschlossen. Da schlüpft keine Ratte unerkannt mehr rein oder raus!«
Ein wenig zu optimistisch war die Prognose des Bischofs. Die Belagerung dauerte genau zehn Tage, bis der Amtmann von der Than die Kapitulation verkündete. Bischof von Brunn frohlockte und ließ ein üppiges Freudenmahl auffahren. Weder die Burg selbst noch der Amtmann und seine Besatzung interessierten ihn besonders. Er ließ sie von einem seiner Hauptleute gefangen nehmen und davonführen. Sein Triumph war es, nun endlich den Dechanten von Masbach in Händen zu halten.
»Was habt Ihr mit ihm vor?«, fragte Elisabeth.
»Ihn in das tiefste Verlies werfen, das ich mein Eigen nenne«, erwiderte der Bischof mit einem breiten Grinsen. »Dort kann er von mir aus verrotten.«
»Das könnt Ihr nicht machen!«, rief Elisabeth entsetzt. »Er ist Euer Domdechant!«
»War er. Er wurde abgesetzt«, erinnerte sie ihr Vater.
»Ganz gleich, er ist ein hoher Kirchenmann aus altem, fränkischem Adel. Ihr könnt ihn nicht einfach verschmachten lassen.«
Der Bischof hob seine massigen Schultern. »Dann sage Friedlein, er soll ihn ab und zu füttern. Das ist mir gleich. Hauptsache, er kommt mir nicht mehr in die Quere.«
Elisabeth beeilte sich, dem Narren diese Botschaft auszurichten, ehe es sich der Bischof wieder anders überlegte.
»Glaubt Ihr, er würde das wirklich tun?«
Der Narr sah zu ihr auf. »Was?«
»Einen Gefangenen in seinem Verlies verschmachten lassen.«
Friedlein zog eine Grimasse. »Ich möchte ja nicht Euer zartes jungfräuliches Gemüt belasten, doch was glaubt Ihr, wie viele der zweihundert Gefangenen, die der Bischof auf seine Burgen und Städte hat verteilen lassen, den Kerker lebend wieder verlassen werden?«
»Es werden einige sterben, die verletzt sind und deren Wunden nicht heilen«, vermutete Elisabeth. »Aber die anderen? Man gibt ihnen doch zu essen?«
»Mal mehr, mal weniger. Ihr dürft nicht die Feuchte der Verliese und die winterliche Kälte vergessen. Der November neigt sich bereits dem Ende zu. Die Winterkälte kriegt auch einen kräftigen Mann klein. Das erste Dutzend ist bereits gestorben, und es werden ihnen noch viele folgen.«
Elisabeth starrte den Narren entsetzt an und griff nach dem Ärmel seines Rockes.
»Dann müsst Ihr etwas unternehmen. Ihr könnt dem doch nicht tatenlos zusehen!«
»Ich?« Friedlein löste mit sanfter Gewalt ihre Finger aus seinem Gewand. »Wie stellt Ihr Euch das vor? Das ist nicht meine Aufgabe, und ich könnte auch gar nichts machen. Soll
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