Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
öffnete es. Drinnen sah Elisabeth einen fest verschlossenen Lederbeutel.
»Sind es die Blüten einer Pflanze, die die Heilung bringen, dann verwahrt man sie am besten in solchen Lederbeuteln in einem Holzkasten. Bei Samen reichen auch Papiertüten, wenn sie nur trocken bleiben. Reist man durch Länder, in denen es stets heiß und feucht ist, wie manche Regionen Indiens, fangen sie leicht an zu schimmeln oder zu treiben. Andere trockene Arzneimittel – Pulver, die man in Wein lösen muss und die von sich aus nicht viel Wasser ziehen – bewahre ich in solchen weiß gestrichenen Holzkästchen auf, die aus Espen-, Eschen- oder Buchenholz gemacht sind. Diese Art von Ingredienzien und fertige Arzneien aufzubewahren ist nicht sehr teuer. Andere dagegen umso mehr. Substanzen, die stark riechen, wie diese zum Beispiel…« Er öffnete eine Dose und hielt sie Elisabeth entgegen. Ein seltsam intensiver Geruch ließ sie zurückweichen. »Das ist Moschus, in seiner konzentrierten Form von uns als unangenehm empfunden, vermischt mit anderen Gerüchen aber anziehend. Oder Ambra hier. Solche
Stoffe muss man in Silber-, Kristall- oder Glasgefäße geben, um sie nicht zu verderben. Auch Öle, die wir aus Pflanzen pressen, müssen in Glasbehälter. Die zylindrischen Holzgefäße dort drüben enthalten getrocknete Wurzeln, aber auch Harz von besonderen Bäumen, Edelsteine und fein geriebene farbige Erden, die Linderung vieler Beschwerden bringen. Die Gefäße daneben sind aus Blei oder Zinn und enthalten fettige Tinkturen und Salben, aber auch so wichtige und seltene Stoffe wie Muskat, Mumia vera , Opium und Drachenblut.«
»Mumia vera «, wiederholte Elisabeth ehrfürchtig.
»Ja, das Pulver von alten, ägyptischen Mumien soll magische Wirkung haben und kann geradezu unanständig teuer verkauft werden. Die Menschen glauben an ihre Kraft. Ich jedoch – im Vertrauen gesagt, Fräulein Elisabeth – halte die ganzen Berichte über wundersame Heilungen oder gar Verjüngungen für maßlos übertrieben. Ich wage gar zu behaupten, dass manche heimische Heilpflanze aus unseren Gärten, wenn sie sorgfältig zubereitet verabreicht wird, der Heilung besser dient.«
»Und dennoch habt Ihr es hier, um es den gutgläubigen Kranken zu verkaufen, ja, Ihr habt Euch sogar eine ganze Mumie aus Ägypten mitgebracht, wie ich höre«, entgegnete Elisabeth und sah provozierend zu ihm auf. Meister Thomas ließ sich nicht beirren.
»Ja, ich habe mir Mumia vera auf meiner Reise besorgt, und ich bringe es mit, um es zu verkaufen. An andere Apotheker, die danach suchen, aber auch an Leidende, die zu mir kommen und eine Arznei wollen. Wenn ihr Arzt ihnen eine Medizin mit diesem Stoff aufgeschrieben hat, dann ist es nicht an mir, die Anweisung zu ändern. Ich darf es nicht einmal, so steht es in zahlreichen Apothekerverordnungen der Städte, auf die jeder schwören muss, der sich dort in diesem Beruf niederlassen will. Ich zweifle auch an anderen alt hergebrachten
Mitteln, die schon die großen griechischen Ärzte oder die der Schule von Salerno empfohlen haben. Doch wer bin ich, gegen die aufzubegehren, die seit vielen Jahrhunderten die Medizin beherrschen?«
»Wenn Ihr doch andere Erfahrungen gemacht habt. Warum denn nicht? Sie müssen sich mit Eurer Meinung auseinandersetzen und die Richtigkeit ihrer Thesen beweisen, wenn sie weiterhin Bestand haben sollen.«
Er lächelte sie an. »Ihr seid eine bemerkenswerte Frau. Ja, ich würde es Euch zutrauen, dass Ihr Euch mit Ärzten, Gelehrten und Räten auseinandersetzt und sie dazu zwingt, Eure Ansichten zu hören und zu prüfen. Allerdings sollte man daran denken, dass solch ein Auftreten nicht gerade hilfreich ist, wenn man sich an einem Ort niederlassen und ein Apothekenprivileg der Stadt erhalten will. Vielleicht ist man gut beraten, erst ein wenig später streitbar zu werden. Oder haltet Ihr das für feige?«
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nur klug. Habt Ihr denn vor, den Rat von Würzburg um ein Privileg zu ersuchen? Wir haben bereits einen Apothekenmeister in Würzburg, wisst Ihr das? Meister Heinrich, dessen Offizin auf den Greden zu finden ist, unter der Oberratsstube. Soweit mir bekannt, ist es ein Lehen der Domkustorei.«
Meister Thomas nickte. »Das ist mir bekannt. Ich kam auch nicht, um mich in der Stadt niederzulassen. Ich folgte dem Ruf des Bischofs.« Elisabeth sah ihn überrascht an.
»Euer Bruder hat während der Reisen ab und zu Briefe mit Eurem Vater gewechselt, und
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