Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Sie haben die Falken und einen Habicht mitgenommen und wollen sie noch einmal fliegen lassen, bevor sie an einen der Gefolgsleute verkauft werden, wie ich vermute«, fügte sie ein wenig traurig hinzu. Der Apotheker hielt inne und ließ sie als Erste durch die Tür auf die Freitreppe treten, die sie in den Hof hinunterführte.
»Es tut mir leid, aber ich fürchte, Georg hat Eure Verabredung vergessen.« Unvermittelt blieb Elisabeth auf der untersten Stufe stehen. »Aber könnte nicht ich Euch begleiten?«
Meister Thomas hielt inne und sah sie überrascht an. »Ja, wenn Ihr meint. Ich würde mich freuen, aber …«
»Ich weiß, es war eine dumme Idee, verzeiht. Ihr braucht den fachkundigen Rat des erfahrenen Kaufmanns und nicht das einfältige Geplapper seiner Schwester. Denkt nicht mehr daran.«
Meister Thomas lächelte auf sie herab. Er war ein großer Mann, wie Elisabeth wieder einmal feststellen musste. »Fräulein Elisabeth, wenn ich aus Eurem Mund bisher einfältiges Geplapper gehört habe, dann in diesem Moment! Euer Bruder mag auf unserer Reise zu einem gewitzten Kaufmann geworden sein, vom Handwerk eines Apothekers versteht er nichts, denn im Gegensatz zu Euch interessiert er sich nicht dafür und ist nicht bereit, aufmerksam zuzuhören. Ich würde jede Wette eingehen, dass Ihr noch jedes Wort wisst, das ich Euch in meiner Alchemistenküche erzählt habe.«
Elisabeth spürte, wie ihr Röte ins Gesicht stieg. Sie senkte den Blick. »Ja, das ist gut möglich. Es ist für mich ganz wunderbar, wenn Männer die Mühe auf sich nehmen, ernsthaft mit mir zu sprechen. Ich will wissen, was um mich herum vor sich geht, und es erstaunt mich immer wieder, welch interessante Dinge es auf Gottes weiter Welt gibt. Früher habe ich
mich mit Albrecht stets vortrefflich über die große Politik gestritten.« Sie seufzte. »Im Augenblick hat er dafür keine Zeit. Er muss seinem Bruder zur Verfügung stehen und so manchen Auftrag für ihn erledigen. Vielleicht wird es wieder anders, wenn Pfleger Johann sich eingelebt hat und alles im Bistum wieder in ruhigeres Fahrwasser gerät.«
»Ja, vielleicht«, sagte Meister Thomas vage und kam dann wieder auf den Ursprung seines Anliegens zurück. »Und? Sollen wir fahren? Ich würde vorschlagen, Ihr nehmt Euer Kammermädchen mit, falls es die Sorge um Euren guten Ruf ist, die Euch zögern lässt. Ich denke, dann kann niemand Anstoß daran nehmen.«
»Wenn Ihr meint. Dann nehme ich das Angebot an. Ich muss mich nur rasch umkleiden. Ich bin sogleich zurück.«
Mit gerafften Röcken eilte sie in ihre vertrauten Gemächer, die sie noch immer nicht geräumt hatte. Wie viele Tage blieben ihr noch?
»Jeanne, beeile dich!«, rief sie ungeduldig. »Ich möchte Meister Thomas nicht warten lassen. Was machst du für ein Gesicht? Du kommst doch mit. Dann kann keiner Anstoß daran nehmen.«
Jeannes Miene blieb angespannt, während sie Elisabeth in ein ebenfalls edles, doch robusteres Gewand von dunkler Farbe half. »Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, was meine Herrin tut, zu rügen, und dennoch muss ich dich fragen, ob du das für klug hältst.«
»Er ist ein Freund meines Bruders, und ich lasse mich von einer Kammerfrau begleiten. Wir sind nur wenige Stunden unterwegs …«
»Das meine ich nicht!«, fiel ihr Jeanne ganz ungewohnt ins Wort. »Wir fahren nach Würzburg, in die Stadt hinein, und sind dort zu Fuß unterwegs. Fürchtest du nicht, wir könnten erkannt werden? Selbst wenn keiner auf den Gedanken kommt, mit der Tochter des Bischofs diese Vergangenheit zu
verbinden. Wenn mich jemand wiedererkennt, wäre das ebenfalls nicht gut. Weder für mich noch für dich!«
Elisabeth zuckte zurück. Betroffen starrte sie die Freundin an. »Daran habe ich nicht gedacht. Nein, wie gedankenlos von mir! Es war nur die Freude, endlich mal aus der Festung herauszukommen und vielleicht mehr über Meister Thomas’ Reisen und die faszinierende Welt der Heilmittel zu erfahren. Doch wenn wir jetzt nicht gehen, wann dann? Wie lange muss man warten, bis die Welt ein paar unwichtige Dirnen vergessen hat?« Jeanne hob die Schultern.
»Siehst du! Auch du weißt darauf keine Antwort. Soll ich mich nun mein Leben lang auf dem Marienberg verstecken? Wobei dies nicht einmal möglich wäre, selbst wenn ich es wollte. Unsere Tage hier in diesen bequemen Gemächern sind gezählt. Der Pfleger kann und will uns hier nicht dulden. Haben wir nicht beschlossen, unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen? Nun,
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