Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
himmelschreiendes Unrecht ungestraft erlauben konntet? Ich habe bereits ein Schreiben an Kaiser Sigmund gesandt und eines an Pfalzgraf Ludwig, denen ich Eure Tat anzeigte. Sie werden mir Beistand leisten, wenn Ihr nicht zur Vernunft kommt.« Elisabeth tauschte mit den anderen einen fragenden Blick.
»Und wie sähe diese Vernunft Eurer Meinung nach aus?«, wollte der Bischof in ausgesucht liebenswürdigem Ton wissen.
»Als Erstes zieht Ihr Eure Wächter mit den Armbrüsten von der Mauer zurück, lasst die Zugbrücke herab und das Tor öffnen, damit meine Männer ungefährdet einreiten können. Und dann befreit Ihr meinen Vater aus seinem Verlies! Vielleicht werde ich davon absehen, beim Kaiser und den Landesfürsten eine empfindliche Bestrafung für Euch zu fordern!«
Der Bischof lachte hell auf. »Ich sehe das ein wenig anders. Ihr kommt hier mit Euren Männern an – eine beeindruckende Zahl, ja, doch gegen meine Mauern völlig wirkungslos. Oder wollt Ihr mitten im Winter den Zabelstein belagern? Eine spaßige Vorstellung. Ohne Pleiden oder Mauerbrecher könnt Ihr gar nichts ausrichten. Und falls Ihr uns aushungern wollt, dann macht Euch auf eine lange Belagerung gefasst. Ich vermute aber, dass Ihr Euch vorher den Hintern und noch so einiges mehr abfrieren werdet!« Wieder lachte er fröhlich. »Ich auf der anderen Seite sitze hier bequem in meiner Burg. Welches Druckmittel ich in meiner Hand habe und was ich damit tun könnte, wenn es mir beliebte, brauche ich Euch ja nicht zu sagen, oder?«
»Er weiß nicht, dass der Graf nicht mehr hier auf der Burg ist.« Elisabeth sah Meister Thomas an.
»Und wie geschickt der Bischof eine Lüge umschifft, ohne den Wertheimer ahnen zu lassen, dass er seinen Trumpf längst verspielt hat.« Der Apotheker nickte anerkennend.
»Wir müssen es ihm sagen! Ehe er sich von meinem Vater zu irgendwelchen Zugeständnissen zwingen lässt.«
Während Jeanne nickte, griffen Meister Thomas und Gret gleichzeitig nach Elisabeths Armen.
»Nein! Nicht hier und nicht jetzt!«, drängte Gret. Der Apotheker stimmte ihr zu.
»Es wäre nicht klug, ihn vor der versammelten Mannschaft bloßzustellen und ihm auf diese Weise seine Pläne zu vereiteln.«
»Warum nicht? Albrecht muss es wissen!«, widersprach Elisabeth störrisch. Sie öffnete den Mund. Gret riss sie grob zurück, sodass sie empört einen Schmerzensruf ausstieß.
»Was erlaubst du dir?«, keuchte sie und rieb sich den schmerzenden Arm.
»Überschätze nicht die väterlichen Gefühle, die der Bischof für dich hegt. Wenn du so etwas tust, wäre es gut möglich, dass er in seinem Zorn vergisst, dass du sein Fleisch und Blut bist. Sei jetzt still, und fordere es nicht heraus.«
Meister Thomas sah die Magd erstaunt an. Gret schien sich für den rüden Übergriff nicht entschuldigen zu wollen.
Elisabeth rieb sich noch immer den schmerzenden Arm. »Du kennst meinen Vater nicht.«
Gret hielt dem Blick ihrer Herrin trotzig stand. »Nein? Ich habe eher den Eindruck, du willst ihn noch immer nicht im vollen Licht der Wahrheit sehen. Das ist durchaus dein Recht, solange du dich damit nicht in ernsthafte Schwierigkeiten bringst.« Ihr Ton wurde weicher. »Dann ist es an deinen Freunden, dich vor deiner Verblendung zu schützen.«
Elisabeth sah das wachsende Erstaunen in Meister Thomas’ Miene. Auch sie wunderte sich, dass Gret vor ihm so mit ihr sprach. Bislang hatten die Freundinnen im Beisein von Fremden stets die höfliche Distanz gewahrt, wie es sich für ihre Magd und ihr Kammermädchen gehörte. Doch entweder war dies Gret in dieser Situation einfach entfallen, oder sie hatte
beschlossen, dem Apotheker ihr Vertrauen zu schenken, was durchaus ungewöhnlich war. Gret vertraute nicht vielen Menschen auf dieser Welt.
Im Gegenzug schien auch der Apotheker die energische Magd mit neuen Augen zu sehen. Er nickte ihr anerkennend zu, offensichtlich bereit, das seine beizutragen, um Elisabeth an diesem Schritt zu hindern.
»Wir können Albrecht doch nicht einfach in diese Falle laufen lassen!«, ereiferte sich Elisabeth. »Wozu habe ich dann die Gefahr auf mich genommen, um das Unrecht, das mein Vater begangen hat, zu korrigieren?« Unwillkürlich fuhr die Hand an ihre Kehle, wo die Messerschneide ihre Haut berührt hatte.
»Natürlich muss man etwas unternehmen«, stimmte ihr Gret zu, »aber nicht auf diese Weise. Wir sollten die Sache beobachten und dann eine günstige Gelegenheit abwarten, den Pfleger von Wertheim über den wahren
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