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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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wehte der Wind vom Meer. Er trank den guten, kalten Wein. Man muß Konzessionen machen im Leben, auch mit fünfzig oder gerade dann.
    Als sie auf den Balkon kam – er grinste schon, als er die barfüßigen Schritte hörte: tapp, tapp, tapp – als sie ein wenig ängstlich fragte: Ist alles in Ordnung, mußte er lachen. Alles war in Ordnung.
    »Übermorgen fahren wir zurück nach Wien«, sagte er. »Und jetzt geh zurück ins Zimmer, du wirst dich sonst noch erkälten.«
    Auf der Rückfahrt übernachteten sie in einer kleinen Stadt in der Steiermark. Sie hatten es beide nicht eilig, nach Wien zurückzukommen. Es gab tatsächlich ein Dreisternehotel in dieser Kleinstadt, es hieß »Zum goldenen Adler«. Bill las in allen Zeitungen von einer aufsehenerregenden Geiselnahme von arabischen Ölpolitikern in Wien. Terroristen hatten eine OPEC-Konferenz überfallen und alle greifbaren Delegierten gekidnappt. Sie waren bereits auf dem Flug nach Tripolis. Es hatte Tote gegeben, ein Polizeibeamter und ein Diplomat waren dabei ums Leben gekommen.
    Österreichs Regierung war heilfroh, den Spuk rasch losgeworden zu sein. Ein Minister hatte noch kurz vor dem Abflug dem Herrn Terroristen die Hand geschüttelt. Na bravo! Bill verstand das Ganze nur vage, aber eines war ihm klar, Polizeirat Hammerlang hatte jetzt sicher alle Hände voll zu tun und andere Sorgen als den Postgassenmord.
    Und er, Bill, hatte damit ein paar Tage gewonnen und mußte nicht gleich mit weiteren Befragungen rechnen, und schon gar nicht brauchte er jetzt Hammerlang anzurufen und zu erklären, warum er sich aus Maribor nicht gemeldet hatte. Das alles war jetzt nicht so wichtig. Christa schien merkwürdig bedrückt. Ob sie auch in Wien »zusammenbleiben« würden, wollte sie wissen. »Ich könnte dein Vater sein«, sagte Bill.
    »Das könntest du, aber niemand kommt auf die Idee, daß du mein Vater bist. Nicht der Hotelportier und nicht das Stubenmädchen. Du siehst überhaupt nicht wie ein Vater aus. Das wird es sein.«
    Er versprach ihr also das »Beisammenbleiben«. Warum auch nicht. Wenn sie weniger oft »irrsinnig glücklich« und »wahnsinnig interessant« gesagt hätte, wäre es ihm noch leichter gefallen.
    Seine oder Herberts Wohnung schien unverändert. Keine nennenswerte Post hinter der Tür. Den Wagen parkte er absichtlich zehn Gehminuten entfernt. Im Kofferraum lag immer noch das Bündel alter Zeitungen mit der grünen Schnur.
    Erich Kilians Telefonnummer fand er ohne Schwierigkeiten.

 

    XI
    Bill wußte sehr wohl, welchen Einfluß Alkohol auf Menschen hat. Es war kein Wissen aus Fachliteratur, sondern aus eigenen Erfahrungen. Er wußte es aus der Zeit, als er noch Willi Weiss war. Er sah an Joan, seiner Frau, wie sehr Alkohol den Menschen verändern kann und beobachtete das zuletzt an sich selbst. Es war schon eine Weile her. Er kannte auch diesen verheerenden Unterschied zwischen dem Saufen in fröhlicher, seichter Gesellschaft und dem tiefdepressiven Sich-Betrinken in dunklen, einsamen Ecken.
    Alle Anzeichen von Alkoholismus, auch in schlimmen Formen, hatte er an nahestehenden Menschen und schließlich an sich selbst kennengelernt.
    Kein Zweifel, Zwinker-Kilian war Alkoholiker geworden. Einer von der schlimmen, bedauernswerten Kategorie der traurig-tränenfeuchten Sorte.
    Im dritten Wiener Bezirk gibt es ein Kaffee »Arlosch«, der Besitzer heißt Artur Loschek, daher also. Unschwer zu erraten, wie man im dritten Bezirk dieses Kaffeehaus allgemein nannte. Es war gegen Mittag, drei Stunden nach dem Telefonat, als sie sich dort trafen. Erichs Hände zitterten leicht, und aus seinem rechten Mundwinkel tropfte Speichel auf seinen Rockärmel. Er war unrasiert und trug eine Brille, deren Gläser so dick waren, daß man sein Zwinkern kaum sehen konnte. Als Bill hereinkam, saß Erich schon da; sie hatten sich kaum erkannt und sagten Servus zueinander.
    Zuerst hatte Bill es mit höflicher Konversation versucht, aber nur ein »ja, ja, gut, gut« gehört. »Trinken wir was«, sagte er schließlich, »man trifft nicht alle Tage einen Freund nach zwanzig Jahren.« Kilian zog die rechte Schulter hoch zum Zeichen seiner Zustimmung und meinte: »Achtzehn, achtzehn Jahren.«
    Bill lächelte gezwungen und stellte überflüssigerweise fest, daß Erich in Mathematik schon immer der Bessere gewesen sei. Er bestellte zwei doppelte Weinbrand, die sie beide ohne Zögern hineingossen, bestellte noch zwei und fragte dann: »Wie geht es dir, Erich?«
    Professor Dr. Dr.

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