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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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er sich wieder ruhiger, sicherer. Alt oder nicht, niemand bleibt verschont davon, nur früher Tod kann einen davor bewahren. Er trank, und Sonja war weit weg. Die Küchenuhr tickte leise, der Kühlschrank schaltete sich automatisch ein und surrte. Er hörte, wie sich Sonja im Schlafzimmer eine Zigarette anzündete. Staunend sah er seine rechte Hand an, die eine brennende Zigarette hielt, die zweite schon. Wann hatte er nur die erste geraucht? Vom Aschenbecher stieg noch leichter Rauch auf, feenhaft.
    Er hörte das Trappen ihrer nackten Füße, sah ihr schönes Lächeln, sie setzte sich ihm gegenüber. Sie war immer noch attraktiv, daran gab es keinen Zweifel. Mit großer Befriedigung stellte er jedoch fest, daß ihre Brüste nicht mehr so hoch waren, wie er sie in Erinnerung hatte. Schenkel und Po waren in Ordnung, was die Maße betraf. Aber die Haut darüber war doch anders als vor zehn Jahren. Die vielen kleinen Fältchen an den Oberschenkeln und ein bißchen darüber hätten einen fünfundzwanzigjährigen, heißblütigen Liebhaber weder gestört, noch hätte er sie bemerkt. Nun, stören taten sie auch Bill nicht, aber sie fielen ihm auf, und auch das erfüllte ihn irgendwie mit Genugtuung. Der Gedanke an ihre nicht mehr jugendliche Haut beruhigte ihn und ließ ihm seine Speckfalten an den Hüften nicht mehr so wichtig erscheinen. Er hatte ohnehin Gewicht verloren in den letzten zwei Monaten. Er öffnete die zweite Flasche und füllte die Gläser. Er wollte sich wenigstens die Illusion erhalten, daß alles war wie vor zehn Jahren. Und sie tranken das Glas und ein zweites, saßen sich nackt gegenüber und lächelten einander zu. Als die Flasche leer war, waren die letzten zehn Jahre vergessen, und alles war so wie früher.
    Bill lag auf dem zerwühlten Bett, rauchte seine Long-Filter und grinste böse. Sonja war im Badezimmer, er hörte das Rauschen der Dusche und erinnerte sich an Einzelheiten aus der Vergangenheit. Es war wirklich fast alles wie früher, reinlich war sie schon immer gewesen, diese Sonja, und immer mußte sie danach ausgiebig duschen.

 

    XX
    Oberst Fedor Kalinin durchblätterte die Seiten alter Akten. Das Papier war leicht vergilbt, die Blätter zerlesen. »Sonja, mein Täubchen, versuche dich zu erinnern«, sagte er, »wie erfolgten damals Übergabe und Rückgabe des Materials?«
    Sonja legte die Stirn in Falten. »Das wechselte von Zeit zu Zeit. Es geschah immer in der Mittagspause. Ich ging mit den Akten in der Handtasche meist in den Resselpark und setzte mich auf eine bestimmte Bank. Einer vom Doppel kam oder saß schon dort. Ich ging nach einer Weile weg und ließ die Handtasche stehen. Die Rückgabe erfolgte auf dieselbe Weise. Es gab eine zweite Handtasche, die genauso aussah wie meine, verstehst du? Wenn ich ging, hatte ich die andere Tasche. Auch der Inhalt war fast der gleiche. Das war Willis Idee, er hatte die beiden Taschen gekauft, solide Lederhandtaschen. Eine davon habe ich immer noch, zu Hause. Hier sind sie ja aus der Mode. Natürlich wechselte der Treffort im Verlauf des Jahres. Im Winter war es die U-Bahn-Haltestelle Stadtpark. Auch wenn es regnete. Nach genau vierzig Minuten erfolgte die Rückgabe, beziehungsweise die Taschen wechselten wieder. Vierzig Minuten waren nicht viel Zeit. Oft war das Material zu umfangreich, und sie konnten nicht alles in der kurzen Zeit fotografieren. Aber ich hatte Auftrag, zur Eile zu treiben. Genosse Wolkow meinte, die beiden würden sonst mißtrauisch.«
    »Sehr gescheit von Genosse Wolkow«, murmelte Fedor, »warst du unter Beobachtung von unseren Leuten?«
    »Nur zu Beginn, der Genosse meinte …«
    »Tschort, jobt woje matj«, Fedor fluchte. »Wolkow meinte, das wäre auf die Dauer zu auffällig. Und wir wußten doch, das Doppel arbeitete allein. Und sie waren doch in Eile beim Fotografieren.«
    »Ja, ja.« Sonja kannte ihren Fedor, sie konnte sich aber seine plötzliche schlechte Laune nicht erklären. »Sonja«, sagte er, »denk genau nach, bist du immer nach der Rückgabe sofort in die Botschaft gegangen?«
    »Ja, ja, ich glaube.«
    »Du glaubst es nur? Was heißt das, du glaubst es? Ist es möglich, daß du einmal zuerst in einen Eisladen gegangen bist?« Fedor warf einen Blick auf einen maschinengeschriebenen Brief, der auf dem Schreibtisch neben den alten Akten lag. »Am 29. Juni 1960. Bist du an diesem Tag in einen Eisladen gegangen, der Pisani heißt? Und bist du anschließend noch einkaufen gegangen? Kann das stimmen?«
    »Wie

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