Das Archiv
interessiert dich das Zeug oder nicht?«
»Es interessiert mich nicht«, sagte Bill. »Und wieso nicht?« Das war so laut, daß die Zuhälter es hören konnten.
Das Barmädchen Wilma erzählte kichernd, daß ihr der Pfarrer immer unter den Kittel gegriffen habe. Die Profis unterhielten sich wieder über Tinos neuen Friseursalon. Die Zuhälter würfelten um irgend etwas, Frau Sedlacek sah zu und kratzte sich am Po.
»Weil ich bald sterben werde«, sagte Bill. Er klopfte sich auf die Brust. »Krebs«, sagte er. »Noch drei bis fünf Monate.« Kilian zwinkerte.
»Dann gib mir das zweite Notizbuch«, stieß er heraus. Doch gleich korrigierte er sich. »Verdammt, tut mir leid für dich, hab’s nicht so gemeint. Vielleicht ist’s nicht so schlimm. Die Ärzte heutzutage, diese Medizinaltrottel, die glauben doch gleich immer …«
»Du kriegst dein Notizbuch«, sagte Bill. »Wenn ich es finde. Irgendwo muß es sein. Ich suche es für dich.«
»Entschuldige Alter«, zwinkerte Kilian. »Schon gut, trinken wir noch einen.« Bill hustete zum Gotterbarmen. »Und sei vorsichtig, wenn du weitermachen willst. Denk an meinen Freund.«
Vertrauen gegen Vertrauen. Erich Kilian zog seinen Arm aus der Rocktasche. »Ich bin vorsichtig«, flüsterte er. In seiner Hand lag eine Smith & Wesson, Kaliber 9 mm. Nur eine Sekunde. Dann war das dunkle Eisen wieder in der Rocktasche verschwunden. Trotzdem, es sah ziemlich neu aus, dachte Bill. »Paß auf dich auf«, sagte er. Sie gingen zurück an die Theke und tranken weiter. »Können wir jetzt mit den Herren übers Geschäft reden«, sagte die eine Hure, die mit den Haaren am Bauch. »Ruf mich morgen abends an«, sagte Bill zu seinem Freund. »Ich werde nachsehen wegen des zweiten Notizbuches. Hab’ schon eine Ahnung, wo es sein könnte. Morgen abend geb’ ich dir Bescheid. Natürlich kannst du es haben. Mich interessiert’s nicht mehr.«
»Versprochen?« Erich schien ängstlich. Bill nickte. »So gegen zehn«, sagte er, »ruf mich abends so gegen zehn an.« Der Professor bestellte noch eine Runde. »Was ist denn heute, nur Saufen?« wollte die andere Hure wissen, die mit der glatten Haut. Zwinker Erich legte seinen Arm um sie. »Na?« sagte er zu Bill. »Letztes Angebot, eine der beiden Damen auf meine Rechnung oder auch beide, mit Mengenrabatt. Überleg dir’s, Alter, so kurz vor dem Sterben.« Alle lachten. Es mußte ein großer Spaß gewesen sein. Sie füllten ihre Gläser und prosteten sich zu. Als erster hörte Zwinker-Erich auf zu lachen. Er drehte sich und wollte noch was zu Bill sagen, doch der war weg. Ein kühler Luftzug von der Eingangstür bestätigte ihm, daß Bill gegangen war. Zurück blieben die Zweifel. War das ernst gewesen mit der Krankheit, mit dem Lungenkrebs? War es ein Trick? Am liebsten wäre er seinem Freund auf die Straße gefolgt. Aber wozu? Morgen abend würde er es ja sehen. Das zweite Notizbuch, er mußte es haben. Morgen abend würde sich alles entscheiden. Es war spät. Er nahm die eine Hure an der Hand und ging mit ihr zur Wendeltreppe. Es war die mit der glatten Haut.
Margarete Scherbler war sehr erfreut, als sie Mr. Edward Cooper bei ihrem Chef anmelden durfte. Mr. Cooper war immerhin dritter Sekretär der US-Botschaft in Wien und kam meist, anders als heute, nach telefonischer Anmeldung. Dieser unverhoffte Besuch bedeutete für sie zweierlei: erstens würde sie mindestens eine Stunde lang ihre Ruhe haben, denn so lange plauderten die beiden Herren für gewöhnlich miteinander. Dann aber, und das war für Margarete Scherbler weit wichtiger, würde Miro wieder einmal sehr nett und aufmerksam zu ihr sein, dessen war sie ganz sicher. Denn Miro war immer sehr interessiert und erfreut, wenn er von den Besuchen Mr. Coopers beim Polizeirat hörte. Alles wollte er dann genau wissen: Beginn und Dauer der Unterredung, Art und Weise der Begrüßung und Verabschiedung, ob förmlich, freundlich oder herzlich. Natürlich auch, und das in erster Linie, WORÜBER gesprochen wurde. Das aber wußte Margarete Scherbler nicht. Schließlich saß sie nicht dabei, und Hammerlang diktierte auch keine Aktenvermerke im Anschluß an das Gespräch. Sehr betrüblich für Miro.
Blieb noch zu berichten, ob Mr. Cooper eine Aktenmappe bei sich hatte oder nicht, und die Antwort war stets die gleiche, nein, Mr. Cooper trug keine Aktenmappe. Er trug auch diesmal keine.
Wie immer begrüßten sich die beiden unter der raschelnden Polstertüre, gaben sich die Hände, und Margarete
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