Das Areal: Thriller (German Edition)
das Messer durch den Solarplexus bis ins Herz.
Dann wich sie schwankend zurück und betrachtete das Messer, als bemerke sie es erst jetzt. Fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Rücken. Turner rappelte sich hoch, schleppte sich zu ihr. Er bemerkte keinerlei Verletzungen, doch das Weiße ihrer Augen war gerötet, und ihre Pupillen waren winzig. Frisches, klebriges Blut rann ihr aus der Nase und über die Oberlippe.
Er wollte etwas sagen, aber sie packte seine Hand wie eine Ertrinkende, versuchte ihren Blick auf ihn scharf zu stellen und wimmerte wie ein verängstigtes kleines Mädchen: »D as Elkhorn’s in der Ayr Lock. Bring mich zum Türken. Bitte, Turner. Bring mich zum Türken.«
Dann verdrehte sie die Augen und erschlaffte.
18
B is zur Ayr Lock waren die Straßen menschenleer und kochten in der Mittagssonne. Die Luft war staubig, und es stank nach den beiden Flüssen und moderndem Müll. Turner hielt sich an den spärlichen Schatten, für den Fall, dass die vier Skimasken Freunde hatten, die nach ihnen suchten, vor allem aber, weil es seinem angeschlagenen Kopf guttat. Ghost hatte er sich über die Schultern gelegt. Ihre Haut fühlte sich klamm an, und sie wirkte leblos. Allerdings spürte er ihren Herzschlag im Nacken, und sie atmete flach. Trotz der hämmernden Schmerzen in der Schläfe versuchte er, sich den Kampf und Ghosts Rolle dabei zu vergegenwärtigen. Sah wieder vor sich, wie sie nach ihrem ureigenen Rhythmus tanzte, während Blut umherspritzte. Was ihn jedoch faszinierte, war ihr Gesicht. Es war ausdruckslos gewesen, leer. Sie hatte die drei Männer kaum angesehen, hatte vollkommen abwesend gewirkt. Wie in Trance.
Ayr Lock war ein ausgetrockneter Abschnitt eines betonierten Kanals, durch ein verrostetes Gitter vom Broad Street Canal getrennt. Inmitten des Mülls, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte, standen mehrere große Transportkisten, die offenbar als Behausungen dienten. Im Areal gab es zahlreiche herrenlose Grundstücke, und die Schleusenkammer wurde bei Regen vermutlich zumindest teilweise überflutet, deshalb fragte sich Turner, was die Menschen veranlasst hatte, sich ausgerechnet hier niederzulassen.
Auf dem Schild stand ELKHORN ’S HEIMWERKERBEDARF in verblassten Buchstaben, wie sie in den Siebzigern modern gewesen waren, doch die Ladenfront war schon seit langem verrammelt. Die Spanplattenverkleidung war mit einer verwirrenden Vielzahl von Graffiti bedeckt, die sich jedoch nicht gegenseitig überlagerten: schön ordentlich eins neben dem anderen. Die Sprayer hatten darauf geachtet, nicht die Werke ihrer Kollegen zu übermalen. Vielleicht hatten sie sich auch nicht getraut. Am Eingang war eine Überwachungskamera angebracht, an der Wand eine Sprechanlage. Beide Geräte waren offenbar installiert worden, lange nachdem hier die letzten Waren über die Theke gegangen waren. Schweiß rann Turner den Rücken hinunter, als er in die Kamera blickte und die Ruftaste drückte.
Ein Knacken und Rauschen, dann sagte jemand: »W as immer du haben willst, hier gibt’s nichts. Zieh Leine.«
»I ch will zum Türken.«
»H ast du nicht gehört, was ich gesagt habe, Mann?«
»D as Mädchen hier ist in schlechter Verfassung, und ihre letzten Worte waren, ich solle sie zum Türken bringen. Ich habe die bewusstlose Göre durch das halbe Areal geschleppt und gehe hier nicht weg. Machen Sie jetzt die verdammte Tür auf, oder soll ich sie eintreten?«
Ein Seufzen. »W ie heißt das Mädchen, Mr Großkotz? Was ist los mit ihr?«
»S ie heißt Fantasma – das bedeutet Ghost, Gespenst. Sie sollten rauskommen und sie sich mal ansehen. Offenbar hat sie geglaubt, Sie könnten ihr helfen.«
Ein weiterer Seufzer. »D as tun sie immer. Warten Sie.«
Aus der Sprechanlage kam ein Geräusch wie von einem wütenden Wespenschwarm, das plötzlich abbrach. Nach einer Minute schwang die Tür auf. In der dunklen Türöffnung erschien ein schlaksiger Mann. Er trug eine an den Knien abgeschnittene Jogginghose, ansonsten war er bis auf seine Tattoos nackt. Die Rastalocken, die mit Teilen einer Motorradkette verwoben waren, hingen ihm wie Messerklingen auf die Schultern. Er nahm einen tiefen Schluck aus einer Büchse Red Stripe und musterte Turner misstrauisch.
»S ie haben Blut im Gesicht, Mann«, sagte er.
»D as stammt nicht von mir.«
»V on ihr?«
Turner schüttelte den Kopf. »S oweit ich das mitbekommen habe, hat niemand sie angerührt. Das Blut stammt von einem Typen, der mir den Kopf mit einem
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