Das Areal: Thriller (German Edition)
in der Hand auf Gartenstühlen vor den verrammelten Schaufenstern des ehemaligen Ladens. Papierdünne Lichtstreifen fielen durch die Ritzen zwischen den Brettern. Ghost lag hinter ihnen noch immer bewusstlos auf dem Tisch. Oz bewegte sich schlurfend auf dem Gang hinter der Trennwand und tanzte Ska zu einem Song, der nur in seinem Kopf existierte.
»D er Sanctuary Tower?«
»J a.« Der Türke trank einen Schluck Bier und nickte düster.
»I ch kenne die Geschichte«, sagte Turner. Er wusste auch noch aus welcher Quelle. Seine Schwester hatte ihm davon erzählt, als sie für die Obdachlosenhilfe arbeitete. Um seine Betroffenheit zu wecken, wie sie beim letzten Streit gemeint hatte. »D as war das Prunkstück des ganzen Areal-Projekts, eines der letzten Gebäude, die fertiggestellt wurden. Ein vierzigstöckiger Wohnturm an der Stelle, wo die beiden Flüsse sich vereinen. Ein fantastischer Ort, um Kinder großzuziehen. Abgesehen davon, dass die Fundamente in der urbar gemachten Marsch nicht tief genug reichten und das Gebäude über Nacht zwei Meter einsank, bevor auch nur die Leitungen verlegt waren. Genau wie der Schiefe Turm von Pisa, nur dass der Effekt an allen vier Seiten auftrat. Ein Wunder, dass das Ding nicht zusammengekracht ist. Die Stadt wollte gegen den Architekten klagen, die Firma, die das Gebäude abreißen sollte, ging pleite, und irgendwann geriet die ganze Schweinerei in Vergessenheit. Jetzt kräht kein Hahn mehr danach. Der Turm hat vierzig Jahre lang überdauert, vielleicht bleibt er ja ewig stehen. Von der Stadt wird sich niemand mehr drum kümmern.«
»J a, das ist die Außensicht der Dinge.« Der Türke nickte. »K einer schert sich darum, weil hier niemand wählen geht, da schaut man einfach weg. Da heißt es, das Gebäude ist verloren, das kostet keinen Cent, und wer bei einem möglichen Einsturz ums Leben kommt, ist ein Hausbesetzer, der hätte vorgewarnt sein sollen. So was kommt immer wieder vor.«
»I st mir auch schon aufgefallen.« Er dachte an Harrys Wohnung und das Wort an der Eingangstür.
»J edenfalls«, sagte der Türke, »k am es genau so. Nicht dass es unerwartet gewesen wäre. Oz meint, die Leute hätten es gewusst, noch ehe das Ding fertig war. Groß und dunkel, wie ein offenes Himmelsgrab. Schlechtes Mojo. Ruft den Herrn der Friedhöfe, und dann folgt der Tod.«
»D en Herrn der …?«
Der Türke zeigte mit der freien Hand auf ein rotes Zeichen an der gegenüberliegenden Wand. Ein Wirbel mit einer Art Gesicht in der Mitte, das im Schatten verzerrt und unwirklich wirkte. »E in vévé. Ein Voudon«, sagte er. Turner konnte nicht einschätzen, ob er von seinen eigenen Glaubensüberzeugungen sprach oder von denen des alten Mannes. »I ch rede von Baron Samedi. Von Loa, dem Herrn der Toten, der grausame Scherze auf Kosten anderer macht. Hat Zylinder und Schaufel, falls Sie jemals beim Mardi Gras dabei waren.«
»L eben und sterben lassen.«
Der Türke grinste. »G enau. Und hundert andere Filme. Loa kommt häufig vor, und eigentlich ist der Baron auch kein schlechter Kerl, aber nur dann, wenn man auf der richtigen, nämlich auf seiner Seite steht. Und der Turm ist wie ein offenes Tor, eine Einladung, die lautet: ›Komm her und tu mit diesen Leuten, was du willst.‹«
»U nd wie ging es weiter? Ich habe nachts offene Feuer im Turm gesehen. Offenbar lebt da jemand.« Er trank noch einen Schluck Bier.
»A llerdings.« Der Türke nickte langsam, betrübt. »N ach allem, was ich gehört habe, sind die Leute dem Tower ferngeblieben, nachdem er abgesackt war. Niemand wollte beim Einsturz in der Nähe sein. Dann hat jemand anders den Tower in Besitz genommen. Ich hab in dem Zusammenhang wiederholt den Namen Sorrow gehört.«
»I mmerhin ein Ansatz.«
»J a. Er hatte eine Menge Leute dabei, eine Art Gang, eine Sekte oder so was in der Art, alle mit Kapuzen, rot gekleidet, und wenn sie mit jemandem reden, dann im Befehlston. Sorrow und seine Leute haben sich im Tower einquartiert, und keiner, der versucht hat, dort einzudringen, ist je wieder zurückgekehrt. Sie haben keine Geschäfte gemacht, hatten mit niemandem Kontakt. Auch als wieder Leute in die Wohnblöcke in der Nähe des Towers zogen, bekam man sie kaum zu Gesicht. Aber alle hatten Angst vor ihnen. Zwei Gangs – große Gangs – wollten ihnen zeigen, wer der Boss war, nachdem ein paar ihrer Leute dort verschwunden waren. Sie gingen rein, schwer bewaffnet und wütend, so zwanzig, dreißig Mann, wenn die Berichte
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