Das Aschenkreuz
mit tonloser Stimme. «Einmal schon habe ich nicht nur meinen Leumund, sondern sogar meinen Hals für dich riskiert. Aber das hast du offensichtlich vergessen, so wie du alles vergessen hast, was
vor
Freiburg war. – Lebe wohl.»
Mehr als verdutzt blickte sie ihm nach. Ihr Ärger darüber, dass er sich von all diesen aufgeblasenen Ratsherren so klein machte, wurde noch übertroffen von der Empörung, dass er sie geduzt hatte. Ganz offensichtlich wollte er noch immer die Hure in ihr sehen.
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Kapitel 14
A m Sonntag und Montag hatten mehrere Gewitter doch noch den ersehnten Regen gebracht und die Gassen der Stadt in Schlammbahnen verwandelt. Am Dienstag zeigte sich der Himmel bereits wieder klar und wolkenlos, und so hatte Serafina sich zur frühen Morgenstunde des nächsten Tages mit Gisla zum Kräutersammeln verabredet.
Seit einiger Zeit schon hatte sie sich mit dem Gedanken getragen, eine kleine Hausapotheke einzurichten, mit Wildkräutern und im Garten gezogenen Pflanzen, für den Eigenbedarf wie auch für die Krankenbesuche. Von Gisla wollte sie sich hierin unterweisen lassen. Vor dem gestrigen Abendessen nun hatte sie ihren Plan zur Sprache gebracht und war damit rundum auf Begeisterung gestoßen.
«Allerdings sollten wir das nicht an die große Glocke hängen», hatte die Meisterin eingewendet. «Nicht dass wir Ärger mit unseren Apothekern bekommen.»
Als Serafina jetzt im Morgengrauen das Schneckentor erreichte, sah sie die kleine, behände Gestalt der alten Kräuterfrau auch schon dort warten. Wie immer, wenn sie zum Sammeln hinausging, trug sie einen Korb auf dem Rücken, der größer wirkte als sie selbst.
Die beiden Frauen begrüßten einander herzlich.
«Nun, Serafina, hast du deine Mitschwestern von deinem Einfall überzeugen können?»
«Und ob. Selbst Heiltrud, die in jeder Suppe ein Härchen findet, ist davon angetan.»
Ein verschlafener Torwärter ließ sie durch die Fußgängerpforte hinaus.
«Gehen wir zuerst die Dreisam hinauf», bestimmte Gisla. «Die Zeit des Besenkrauts hat nämlich begonnen, auch Beifuß genannt. Wogegen hilft es uns?»
«Bei Bauchkrämpfen», antwortete Serafina ohne zu zögern und dachte dabei an Barnabas in seiner Hütte und wie rasch sich sein Magen mit dem Kräutersud erholt hatte. Und daran, dass sie künftig solcherlei Kräutermischungen selbst herstellen würde, statt sie teuer in der Apotheke zu erstehen.
«Gut.» Sie stiegen die Stufen zum Ufer hinunter, wo zu dieser frühen Stunde weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. «Wogegen noch?»
Serafina dachte nach. «Gegen Melancholie?»
«Das ist das Johanniskraut. – Nein, gegen den Veitstanz und auch gegen Schadenszauber. Bindet man ihn mit den Spitzen nach unten auf den Dachfirst, wehrt er Blitze ab.»
Am Rande des Ufergesträuchs fanden sie die hüfthohe Pflanze in Mengen. Gisla zeigte ihr, wie man die oberen Triebspitzen abschnitt, solange die Blütenkörbchen noch geschlossen waren. «Sobald sich diese öffnen, werden die Blätter bitter. Zum Würzen eignen sie sich dann nicht mehr.»
So arbeiteten sie sich gemächlich vorwärts, und bis sie die obere Dreisambrücke erreicht hatten, war ihre Rückentrage schon zu einem Drittel gefüllt.
«Gehen wir weiter in Richtung Thurnseeschloss. Dort kenne ich eine Wiese mit Schafgarbe. Kamille werden wir wohl auch noch finden, an den Wegrändern zwischen den Feldern. Und am Waldrand wächst der Rainfarn. Das sollte dann auch genügen für heute.»
Ginge es nach Serafina, würde sie den ganzen Tag an Gislas Seite durch die Landschaft wandern. Doch sie wusste inzwischen, dass Heilkräuter nur in der Kühle des Morgens geerntet werden durften, weil sie sonst an Wirkung verloren.
«Der Rainfarn ist übrigens das beste Mittel gegen Würmer. Nun ja, er wird auch noch anderweitig eingesetzt …» Die Alte grinste. «… aber das werde ich einer keuschen Schwester wie dir nicht auf die Nase binden.»
Serafina biss sich auf die Lippen. Sehr wohl wusste sie aus ihrer Konstanzer Zeit um die austreibende Wirkung des Rainfarnöls bei ungewollten Schwangerschaften. Sie selbst war zum Glück nie in eine solche Lage geraten – bis auf jenes schreckliche Mal in ihrer Zeit als Dienstmädchen, doch damals war sie jung und dumm gewesen und hatte von gar nichts gewusst.
Sie überquerten die Brücke und die Fahrstraße nach Kirchzarten, um auf den Feldweg einzubiegen, der zu dem halb verfallenen Fronhof des einst mächtigen Geschlechts der
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