Das Aschenkreuz
etwas zu sagen, doch es kam nichts heraus. Es sah aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, der nach Luft schnappte. Aus seinen Augen rannen Tränen, sein ganzer Körper begann zu zittern und zu beben.
Sie beugte sich zu ihm und strich ihm über den Kopf.
«Hab keine Angst, Barnabas, bitte, hab keine Angst. Ich weiß, dass du unschuldig bist. Die Wahrheit wird ans Licht kommen.» Sie wandte sich an die Männer. «Jetzt lasst ihn los. Ich verbürge mich dafür, dass er nicht wegläuft.»
«Da käme er auch nicht weit, auf seinen kurzen Stumpen», grinste der Jüngere. Plötzlich hob er den Arm und winkte in Richtung Straße. «He, guter Mann, halt ein! Wir brauchen deinen Karren. Hierher, aber stracks!»
Unwillig führte der Bauersmann sein Maultier, das vor einen mit Reisig beladenen Karren gespannt war, zu ihnen her. Als er den aufgeschnittenen Leichnam unter den Bäumen ausmachte, stieß er einen Schreckensschrei aus.
«Allmächtiger – der Bruder Rochus!»
«Hör auf zu glotzen und komm her. Der Leichnam muss in die Stadt.»
«Aber doch nicht auf meinem Karren.»
«Wenn du nicht mit dem Zwerg hier im Gefängnisturm landen willst, schmeißt du jetzt sofort diesen Plunder von deiner Mistkarre und hilfst mit aufladen.»
Serafina zwang sich, nicht zu den Bäumen zu schauen, wo sich die beiden Männer gleich darauf an der Leiche zu schaffen machten. Währenddessen hatte Barnabas zu zittern aufgehört. Sein Bewacher lockerte den Griff.
Serafina sah den Zöllner durchdringend an. «Und Ihr glaubt allen Ernstes, dass Barnabas den armen Mann dort gemeuchelt hat?»
«Wer sonst? Außer ihm war weit und breit keiner zu sehen. Außerdem: Die Kraft dazu hätte er. Wie eine Wildkatze ist er vorher gegen uns gegangen. Hier …» Er zeigte ihr sein blutunterlaufenes Handgelenk. «… da hat er mich sogar gebissen, dieser Erzschelm.»
«Und warum hätte er so etwas tun sollen? Wegen eines Schlüsselbundes etwa? Das ist lächerlich.»
«Weiß ich, was im Schädel eines Unsinnigen vor sich geht? Vielleicht ist ja der Teufel in ihn gefahren.»
«Und der hat dann dem Toten auch den Dolch in die Faust gesteckt, was?», hörte sie plötzlich Gisla hinter sich sagen. Serafina hatte die Kräuterfrau ganz vergessen. «Lass ihn frei, Ignaz. Der Barnabas hat keinem was getan.»
«Was hast du hier zu suchen, Gisla?»
«Dasselbe wie immer: Grünzeug. Im Übrigen könntst grad so gut uns beide festnehmen. Wir
waren nämlich auch hier in der Nähe. Oder die Knechte und Mägde …» Sie wies zur Straße. «… die jetzt überall auf dem Weg zu ihrem Tagwerk sind.»
Tatsächlich hatten sich derweil etliche Neugierige am Wegesrand gesammelt, die voller Entsetzen auf die Baumgruppe starrten. Das Gesicht des alten Zöllners lief rot an. «Potzsackerment – muss ich mir jetzt von Weibervolk sagen lassen, wie ich meine Arbeit zu verrichten hab?»
«Wäre vielleicht nicht falsch. So frag ich dich zum Beispiel: Hast du schon mal ein Schwein geschlachtet?»
«Was soll jetzt
das
Geschwätz?»
«Hast du, oder hast du nicht?»
«Ja, hab ich. Bei meinem Bruder auf dem Hof.»
«Und dein schöner fescher Rock …» Sie strich ihm über den Stoff seines weiß-roten Gewands. «… hätt der dann hernach immer noch so sauber ausgesehen?»
«Natürlich nicht», entgegnete der Mann unsicher. «Ich hätt mir ja auch einen Lederschurz übergezogen.»
«Siehst? Und jetzt zeig mir einen einzigen Blutsspritzer auf dem Barnabas seinem Kittel.»
«Das muss noch gar nichts heißen. Ich schaff ihn jetzt jedenfalls in die Stadt. – Seid ihr endlich fertig dahinten?», rief er seinem Genossen zu.
«Ja, wir können.»
«Wartet.» Serafina hielt ihn am Arm fest. «Habt Ihr den armen Kerl, den Ihr so vorschnell für einen blutrünstigen Mörder haltet, überhaupt ein einziges Mal zu Wort kommen lassen? Vielleicht hat er ja den wahren Missetäter sogar gesehen.»
Der Zöllner stierte sie verständnislos an.
«Hör zu, Barnabas», beschwor Serafina den Bettelzwerg. «Du musst jetzt alles erzählen, was du getan und was du gesehen hast. Alles genau der Reihe nach.»
«Barnabas ist traurig», flüsterte er heiser. «Das ist kein guter Tag heut, um der schönen Serafina zu begegnen.»
«Bitte, Barnabas!»
Der kleine Mann holte tief Luft. «Der Zwerg hat nichts getan, ich schwör’s dir! Das Ding lag im Gras, dort, wo du stehst. Hat so schön geglitzert und gefunkelt im Morgentau, da hat der Barnabas es haben wollen für seine Schatzkammer. Und hat
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