Das Attentat
Sympathisches, vielleicht, weil ihre ständige Wiederholung auf einige Ausdauer schließen ließ. Er hatte dunkle Augenbrauen und eine gesunde nußbraune Haut, die um die Augen herum etwas dunkler wurde. Er trug eine graue Hose, einen dicken blauen Blazer, eine Klubkrawatte und ein Hemd mit sich aufrollenden Kragenecken. Der Rauch, den er mit gespitzten Lippen an das Fenster blies, blieb jedesmal für einen kurzen Moment als dünner Nebel an der Scheibe hängen.
Er fuhr mit der Straßenbahn zum Haus des Freundes, der ebenfalls im Süden der Stadt wohnte. Die Familie war erst nach dem Krieg dorthin gezogen, so daß mit Fragen über die Vergangenheit nicht zu rechnen war. Als die Straßenbahn in den Stadtpark einbog, sah er eine Minute lang die frühere Ortskommandantur. Der Stacheldraht und die Panzersperren waren verschwunden und das Haus ein heruntergekommenes, verfallenes Hotel mit zugenagelten Fenstern. Die Garage war früher ein Restaurant gewesen, von dem jetzt nur noch eine Ruine stand. Vermutlich wußte der Freund schon nicht mehr, was dort einmal untergebracht gewesen war.
»Er kommt ja doch noch«, sagte er, als er die Tür öffnete.
»Entschuldige die Verspätung.«
»Macht nichts. Hast du es gleich gefunden?«
»Ja, es ging.«
Im Garten hinter der Villa standen unter hohen Bäumen auf einem langen Tisch Schüsseln mit Kartoffelsalat und verschiedenen anderen Köstlichkeiten, Flaschen und stapelweise Teller und Besteck. Auf einem gesonderten Tisch lagen die Geschenke. Anton legte sein Buch dazu. Die Gäste standen und saßen über den ganzen Rasen verteilt, Anton wurde jedem vorgestellt und gesellte sich dann zu einer angeheiterten Gruppe von Kommilitonen, die er aus Amsterdam kannte. Sie standen, mit Biergläsern gegen den Durst bewaffnet, im Kreis am Ufer eines Teiches, und wie Anton steckten auch sie mit ihren mageren, jungenhaften Körpern in viel zu weiten Blazern. Das Wort führte offensichtlich der ältere Bruder seines Freundes. Er studierte Zahnmedizin in Utrecht; sein rechter Fuß steckte in einem riesigen, unförmigen schwarzen Schuh.
»Tatsache ist doch, daß ihr alle Schlappschwänze seid, davon muß man ausgehen. Das einzige, woran ihr denkt – außer ans Wichsen natürlich –, ist doch, wie ihr euch vor dem Militär drücken könnt.«
»Du hast gut reden, Gerrit-Jan. Dich wollen sie ja nicht, mit deinem Fuß.«
»Ich will dir mal was sagen, du Flegel. Wenn du auch nur ein bißchen Mumm hättest, würdest du nicht nur Soldat werden, sondern dich außerdem auch noch freiwillig nach Korea melden. Ihr wißt überhaupt nicht, was da los ist. Da hämmern die Barbaren gegen die Tür der christlichen Zivilisation!« Er fuchtelte mit dem Zeigefinger in der Luft herum. »Im Vergleich dazu waren die Faschisten Waisenknaben. Ihr müßt mal Koestler lesen.«
»Geh doch selber hin und schlage ihnen mit deinem komischen Schuh den Schädel ein, Quasimodo.«
»Gut gekontert!« lachte Gerrit-Jan.
»Korea ist genauso wie die Universität von Amsterdam«, meinte ein anderer. »Die wird auch immer mehr vom Pöbel überschwemmt.«
»Meine Herren«, sagte Gerrit-Jan und hob sein Glas, »laßt uns auf den Untergang des roten Faschismus im In- und im Ausland trinken!«
»Ich habe auch das Gefühl, daß ich eigentlich mitmachen sollte«, sagte ein Junge, der den Tenor des Gespräches nicht ganz begriffen hatte, »aber es scheinen auch eine Menge ehemaliger SS-Leute in der Legion zu sein. Ich habe gehört, daß sie straffrei ausgehen, wenn sie sich freiwillig melden.«
»Na und? Du bist wohl von gestern, mit deiner SS. In Korea können sie es wiedergutmachen.«
Gutmachen, dachte Anton – wiedergutmachen. Zwischen zwei Jungen hindurch schaute er zum anderen Ufer des Teiches hinüber, zu den stillen Alleen, wo Radfahrer fuhren und jemand seinen Hund ausführte. Auch dort standen Villen. Etwas weiter weg, aber von hier aus nicht zu sehen, lag der Kindergarten, wo er vor der Volksküche Schlange gestanden hatte; und ein paar Straßen weiter, etwas mehr nach links, hinter den Feldern, war die Stelle, wo es passiert war. Er hätte nicht hierherkommen dürfen. Er hätte nie mehr nach Haarlem fahren dürfen, er hätte es begraben müssen wie einen Toten.
»Und Herr Eierkopf starrt dabei grübelnd in die Ferne«, bemerkte Gerrit-Jan, und als Anton ihn ansah, fügte er hinzu: »Ja, du, Steenwijk. Und? Was meinst du dazu?«
»Was meinst du?«
»Rücken wir den Kommunisten auf den Pelz oder schleichen wir auf
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