Das Attentat
Niederländisch-Indien gegangen, wo er sofort von den Japanern in ein Lager gesteckt und beim Bau der Burma-Eisenbahn eingesetzt worden war, aber wie Anton sprach er nie von seinen Kriegserfahrungen. Liesbeth wurde kurz nach seiner Repatriierung geboren und hatte mit dieser Vergangenheit nichts mehr zu tun. Sie hatte blaue Augen, aber dunkles, fast schwarzes Haar; obwohl sie weder in Indonesien gewesen war, noch indonesisches Blut in den Adern hatte, hatten ihr Gesicht und die Art ihrer Bewegungen etwas Fernöstliches. Anton fragte sich manchmal, ob Lysenkos Behauptung, nach der auch erworbene Eigenschaften erblich sein können, vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit enthielt.
Ein Jahr nach der Hochzeit wurde ihr Sohn geboren, dem sie den Namen Peter gaben. Da Saskia und Sandra weiterhin in dem alten Haus hinter dem Concertgebouw wohnten, kaufte Anton ein Haus mit Garten in Amsterdam-Süd. Wenn er seinen Sohn auf den Arm nahm, kam ihm manchmal zu Bewußtsein, daß das Kind viel weiter vom Zweiten Weltkrieg entfernt war als er vom Ersten – aber welche Bedeutung hatte der Erste Weltkrieg für ihn? Weniger als der Peloponnesische Krieg. Er machte sich klar, daß dies auch für seine Tochter galt, aber es war ihm früher nie bewußt gewesen.
Den Urlaub verlebte er von nun an in der Toskana, in einem geräumigen alten Haus am Rande eines Dorfes in der Nähe von Siena. Das Haus hatte er für wenig Geld gekauft und vom ortsansässigen Bauunternehmer umbauen lassen. Mit der Rückseite lehnte es sich an einen Hügel, an einer Stelle war in der Wand der Felsen sichtbar geblieben und unterbrach als schräger, geäderter braungelber Streifen das Mauerwerk. Auf dieses Gestein legte er gern seine Hände und hatte dann das Gefühl, in seinem Zimmer die ganze Erde festzuhalten. Selbst über die Weihnachtstage fuhr er mit Frau und Kind in dem großen Kombiwagen nach Italien, und von da an lebte er eigentlich von Urlaub zu Urlaub. Wenn er im Schatten der Olivenbäume auf seiner Terrasse saß, schaute er auf grüne Hügel und Weinberge, auf Zypressen, Oleanderbüsche und hier und dort einen eckigen Turm mit Zinnen, auf eine Wunderlandschaft, die nicht nur diese Landschaft war, sondern in einem Moment Renaissance-Panorama und im nächsten Dekor des römischen Altertums – und vor allem weit, weit weg von Haarlem und dem Kriegswinter 1945. Als knapp Vierzigjähriger begann er mit dem Gedanken zu spielen, sich hier auf Dauer niederzulassen, sobald Peter aus dem Haus war.
Und eines Tages besaß er vier Häuser. Da er auch über die Wochenenden irgendwohin mußte, kaufte er ein kleines Bauernhaus in Gelderland, auf das ihn de Graaff aufmerksam gemacht hatte. Solange sie sich nicht mit dem Urlaub ins Gehege kamen, durften es natürlich auch Saskia und Sandra benutzen, ebenso das Haus in der Toskana. Saskia hatte einen Oboisten geheiratet; er war etwas jünger als sie, international bekannt und immer gutgelaunt, auch er hatte ein Kind mitgebracht und würde mit der Zeit ebenfalls eine Reihe eigener Häuser haben. (Frau de Graaff war nicht sehr erbaut von dieser Ehe, aber Saskia hatte sich schon immer von ihren Freundinnen unterschieden – Mädchen mit Plisseeröcken, flachen Schuhen, Seidenschals und Perlenketten –, die vor allem Standesbewußtsein hatten und sonst nicht viel mehr.) Hin und wieder fuhren sie zu viert in Urlaub, zusammen mit den drei Kindern. Wenn sich Anton und Saskia gut verstanden, weil immer noch ein gewisses Einvernehmen zwischen ihnen bestand, wurde Liesbeth manchmal eifersüchtig, aber Saskias Mann lachte darüber. Er verstand sehr gut, daß auch dieses Einvernehmen zu ihrer Scheidung beigetragen hatte. Liesbeth, die jüngste von ihnen, begriff solche Subtilitäten weniger, war den anderen jedoch auf ihre Weise überlegen. Manchmal sagten alle »Mama« zu ihr, was Anton besonderen Spaß machte.
Seine Migräne schien mit zunehmendem Alter nachzulassen, aber als er vierzig wurde, hatte er ein Jahr lang mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen: Er fühlte sich niedergeschlagen und müde, hatte nachts Alpträume und wurde beim Aufwachen von Sorgen und bangen Ahnungen gequält – daß das alles nicht richtig war mit den vier Häusern, daß er Sandra im Stich gelassen hatte und überhaupt alles und jedes nicht stimmte. Wie ein abgefallenes Herbstblatt schwirrte ihm ständig eine Ratlosigkeit durch den Kopf, die er bisher nur erlebt hatte, wenn ihm ein Patient unter den Händen gestorben war: plötzlich verwandelte
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