Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Zeit!“, rief sie aus. „Was machst du denn da, du dummes Ding?“
Davon geweckt, schlug Nini die Augen auf. Im Schoß hielt sie ein langes Küchenmesser. Ruckartig sprang sie auf die Beine und barg es hinter dem Rücken.
„Alles gut?“
Ihr Gesicht teilte sich in Sorge und Erleichterung. Ellen schloss die Tür und gab Nini einen freundlichen Schubser.
„Natürlich ist alles gut. Was soll das mit dem Messer, Nini?“
Das Mädchen schwieg. Kopfschüttelnd fuhr Ellen ihr sanft durch das Haar.
„Und jetzt mach dich frisch.“
Nini flitzte davon, umkurvte grußlos Ruud, der die Treppe heraufstürmte.
„Ich hab´s gewusst. Der Typ ist nicht sauber“, sagte er außer Atem.
„Wer?“
„Von wegen Ryland. Ich war in der Nationalbibliothek. Er hat dort nach einem Mann mit dem Namen Conley geforscht.“
„Ja, ich weiß.“
„Du weißt?“
„Er hat es mir erzählt.“
„Er hat es dir erzählt? Wann hat er es ...?“
Die Unterwäsche in Ellens Hand verstopfte ihm den Mund. Weil sie ihm zeigte, dass die Frau, die er begehrte, nicht aus ihrem Zimmer kam, sondern dahin unterwegs war.
„Okay. Okay. Alles klar. Ich meine, natürlich. Deine Entscheidung.“
Ellen seufzte, weil Ruud es auf diese Weise erfahren musste. Die Enttäuschung konnte sie ihm nicht nehmen und entschied sich, es auf sich beruhen zu lassen.
„Martin hat mir gesagt, dieser Conley war in derselben Einheit wie sein Urgroßvater oder Ururgroßvater.“
„Ach, ja. Hat er das? Dann will ICH dir mal was sagen. Er lügt“, giftete Ruud, „das steht fest. Gestern, bei unserem Wahrsager hat er ein anderes Geburtsdatum angegeben als in der Hotelregistrierung. Und dort steht auch, dass er in Seattle geboren ist. Er behauptet aber, er sei vier gewesen, als er mit seinen Eltern in die Staaten übersiedelte.“
„Du hast in seiner Hotelregistrierung rumgeschnüffelt?“
„Reine Vorsichtsmaßnahme.“
„Vorsichtsmaßnahme? Ruud, du machst dir was vor. Du bist eifersüchtig, weil ich mit Martin ...“
„Quatsch“, brauste er auf. „Du kannst doch ins Bett hüpfen, mit wem du willst.“
Im Versuch, Ruud zu beruhigen, senkte sie ihre Stimme.
„Jedenfalls, wenn seine Eltern erst umgesiedelt sind, als er vier war, kann er trotzdem in Seattle geboren sein. Das beweist doch gar nichts.“
„So, Fräulein Sorglos, und was beweist das hier? Nach seinem Was-auch-immer-Großvater hat er nicht geforscht. Es gibt nämlich gar keinen Ryland, nach dem er hätte forschen können.“
„Was willst du denn damit andeuten?“
„Genau das! Er hat sich ausschließlich nach diesem Conley erkundigt. Weißt du, was der Typ in der Bibliothek noch gesagt hat? Komisch, hat er zu mir gesagt, Sie sind schon der Dritte, der nach diesen alten Unterlagen fragt.“
„Ich glaub´s einfach nicht. Warum um alles in der Welt spionierst du ihm nach?“
„Das will ich dir erklären. In der Bibliothek war heute Morgen noch einer. So ein einohriger Chinese mit einer hässlichen Narbe im Gesicht. Und der hässliche Chinese fragt nicht nur nach den Sachen, der fragt auch nach den Leuten, die nach diesen Sachen gefragt haben. Also egal, was unser angeblicher Amerikaner sucht. Der Chinese sucht ihn !“
„Du redest dir da was ein. Ich bin sicher, für all das gibt´s eine einfache Erklärung.“
„Gibt es. Dieser Ryland steckt in irgendeiner faulen Geschichte. Ich werde auf jeden Fall sehen, ob ich über die Behörden was über ihn rauskriegen kann.“
„Das wirst du nicht!“
„Ach nein?!“
„Nein. Weil du dann verdammt noch mal deinen Kram packen und verschwinden kannst. Dann such ich mir eben einen anderen verdammten Fotografen.“
„Scheiße, Ellen“, rief Ruud und warf beide Arme hoch. „Du denkst mit deiner Muschi!“
Dann rannte er die Treppe wieder hinunter.
„Das ist manchmal nicht die schlechteste Idee“, rief sie ihm hinterher. „Und noch was. Er kommt mit uns!“
Nini begriff nur, dass die beiden sich stritten. Auf diese respektlose Art, wie es nur die Weißen taten, laut und aggressiv. Den letzten Satz jedoch verstand sie. Und er übergoss sie mit Schrecken. Letzte Nacht musste sie die Hilfe der Geister in Anspruch nehmen, um ihre Herrin vor der Gefahr zu schützen. Und mit dem Messer Wache halten, falls diese Hilfe ausbleiben würde. Jetzt musste sie handeln.
Kapitel 27
Aufzeichnungen des Reverend Willet, 15. April 1888
Anderntags begab ich mich wieder auf den Weg zu Captain Conleys Unterkunft, um ihm einen Vorschlag zu
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