Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
unterbreiten. Unweit davon traf ich seinen Burschen. Min Naing machte sich erhebliche Sorgen um den Zustand seines Herrn. Er berichtete, der Captain sei in letzter Zeit häufig abwesend, als träume er mit offenen Augen. Dann wieder lief er wie ein Gehetzter durch die Gassen der Garnison, stets eine geladene Pistole zur Hand. Heute morgen hatte er seinem Burschen aufgetragen, die beiden obskuren Besucher ausfindig zu machen, um sie „in dieser Angelegenheit“ noch einmal zu sprechen. Ich selbst fand Captain Conley in ausgezeichneter Verfassung und bester Laune beim Frühstück vor. Sein Verhalten erschien erneut wie das Gegenteil dessen, was ich nun beständig über ihn hörte.
„Ein Vorschlag, also, mein lieber Willet?“, fragte er fröhlich. Da ich wusste, er würde nach Pagan abrücken, bat ich ihn, unter seinem Geleit mitreisen zu dürfen. Es würde mich ein gutes Stück, noch dazu unter dem Schutz von Gewehren, meinem Ziel näherbringen. Ich würzte meine Bitte mit einer Entdeckung, die ich am gestrigen Abend machte, als ich noch einmal die Thian-o-Li-Legende studierte.
„Es ist anzunehmen, dass er der Gründer der ersten Siedlung in diesem Land war. Und das der in der Sage erwähnte Tempel dort gebaut wurde. Und die älteste Pyu-Stätte, soweit bekannt, ist Pagan. Eben dort, wohin Sie gehen. Ein sonderbarer Zufall, wie ich finde.“
Mit keiner Regung verriet er, ob meine Worte etwas in ihm auslösten. Er blieb bei seiner morgendlichen Munterkeit, und in einem geradewegs morbiden Kontrast dazu sagte er, in die Hände klatschend. „Sie haben ein paar Rebellen aufgegriffen. Sie werden gegen mittag auf dem Marktplatz hingerichtet. Kommen Sie, das sollten wir uns ansehen.“
Bereits einige Male war ich Zeuge einer Exekution, im Bemühen, die Sünder in der letzten Stunde auf den rechten Weg zu führen. Diese jedoch sollte mir stets in Erinnerung bleiben. Zwei Vorfälle steigerten das traurige Schauspiel ins Groteske. Man hatte die Gefangenen bis auf einen Lappen um die Hüften aller Kleidung entledigt, ihnen nicht einmal Augenbinden angelegt. Der Offizier hatte schon das Erschießungskommando anlegen lassen, als wir eine dünne Stimme hörten: „Einen Moment noch, bitte.“
Sie gehörte einem Fotografen, der abseits seine wuchtige Balgenkamera auf ein mächtiges Holzstativ hievte. Er bat den Offizier, mit dem Schießbefehl zu warten, damit er sein Objektiv auf die Gesichter der Todeskandidaten einstellen konnte. Um auszulösen, sobald die Soldaten den Abzug betätigten.
„Des dramatischen Effektes willen“, erklärte er, als sei er bei einer Zirkusveranstaltung. Der Offizier willigte brummelnd ein und eine Minute verging, eingefrorene Zeit. Alles beobachtete stumm, wie der Fotograf emsig seine Apparatur in Stellung brachte. Kein Laut war zu hören, kein Scharren von Füßen, kein Hüsteln. Jeder auf dem Platz, sogar die zum Tode Verurteilten, verharrten in der Bewegung. Wie Darsteller auf der Theaterbühne, die für einen Moment ihren alltäglichen Gedanken nachhingen. Bis der Regisseur die unterbrochene Probe wieder in Gang setzte. Endlich gab der Fotograf ein stummes Zeichen und drei kurze Befehle rückten alles wieder in die brutale Realität. Und nun war es plötzlich Captain Conley, der einschreiten wollte. Ich hörte nur kurz sein geflüstertes „Oh, Gott, nein.“ Seine Hand krallte sich in meinen Unterarm, er hob die andere in die Luft, öffnete den Mund zum Schrei. Doch sein Ruf ging unter im Dröhnen der ersten Salve.
Kapitel 28
Januar 1988, Rangun, Burma
Gelähmt starrte er in das Narbengesicht des Chinesen, in die kalten Augen und wagte nicht, zu atmen. Die Klinge saß dicht an seinem Hals. Er fürchtete, sie würde eindringen, sobald er auch nur schluckte. Minuten zuvor hatte Lo Han beschlossen, dieses Mal auf den perfekten Moment zu verzichten. Hotel Imperial, Zimmer 16, erster Stock. Die anderen drei waren das, was sie angaben zu sein. Ein Franzose, ein Italiener und ein Neuseeländer. So blieb nur dieser eine, Martin Ryland. Lo Han hatte keine Eile, den Engländer aufzuschlitzen, kochte seine Wut auf kleiner Flamme.
Er streifte die Umhängetasche ab, die eine Auswahl aus seinem Metzgerkoffer enthielt. Diejenigen Instrumente, die die grausamsten Schmerzen verursachten, dazu noch eine Lötlampe. Glühendes Eisen brachte die meisten zum Sprechen, noch bevor es die Haut verschmorte.
Wie gewohnt hatte er unbemerkt das Hotel betreten, war die Treppe heraufgeschlichen und in das Zimmer
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