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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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Fragen. Wenn sie es schafften, was dann? Was, wenn Leonard steckenblieb zwischen Wahn und Realität? Ihre Sorge verdoppelte sich, als er einmal plötzlich stehenblieb, sich zu ihnen umdrehte.
„Ich habe sie beide umgebracht. Aber das war nicht meine Schuld. Nein. Das war es nicht. Nicht meine Schuld.“
Unvermittelt wandte er sich wieder nach vorn und lief weiter. Manchmal hörte sie ihn vor sich hinmurmeln. Auf Höhe der Talsohle war der gewellte Kamm außer Sicht. Leonard schlug einen Bogen in das Tal hinein, über eine Piste aus feinem Geröll, ein Bachbett, durch das seit Jahrzehnten kein Wasser mehr floss. Zu beiden Seiten erhoben sich die braunen Flanken, voraus versperrten sie ihnen die Sicht. Der Piste folgend umrundeten sie eine Höhe. Zwei quälende Stunden wollte der Bogen kein Ende nehmen, nur um sie hinter der Biegung mit einem Richtungswechsel zu entmutigen. Nach dieser Kehre wurde ihre Hoffnung vollständig zerschmettert. Eine Sackgasse. Vor ihnen türmte sich eine senkrechte Wand auf. Der ehemalige Bach war einst diese Kante heruntergestürzt. Die Hänge zu beiden Seiten wuchteten sich weniger steil nach oben, aber immer noch in beängstigende Höhe.
„Diesen hinauf“, bestimmte Leonard ohne Zögern.
In Ellen regte sich Widerstand. Wie konnte er das wissen?
„Wir haben mehrmals die Richtung gewechselt. Was macht dich so sicher?“
„Sie hat es gezeigt. Du hast es doch auch gesehen, oder?“
Sie hatte sich darauf eingelassen, von einem Irren geführt zu werden.
„Sie hat es also gezeigt. Und was? Was ist da?“
Leonard setzte ein betretenes Gesicht auf, wie ein Schüler, den man beim Dösen im Unterricht ertappt hatte und von dem man jetzt die Lösung einer Aufgabe verlangte.
„Ich weiß es nicht“, sagte er leise. „Weißt du´s?“
Das war, wie Ellen zugeben musste, das Entscheidende. Auslosen, darüber abstimmen oder einfach einem Gefühl nachgeben, es kam alles auf das Gleiche hinaus. Sie wussten es einfach nicht.
Nachdem sie ihre Kräfte gesammelt hatten, begannen sie den Aufstieg. Schon nach kurzer Zeit durchtränkte Schweiß ihre Kleidung, die Sonne brannte jeden klaren Gedanken aus dem Gehirn, die Muskeln in den Waden verkrampften sich. Jeder Schritt schmerzte. Obwohl sie vorankamen, schien der Gipfel immer weiter aufwärts zu rücken. Den Augen fehlte jedes Maß, die Entfernung abzuschätzen. Ellen beschlich das Gefühl, dass dies der Rest ihres Lebens sein konnte. Endlos kahle Hänge hinauf und wieder hinunterlaufen, bis das Wasser aufgebraucht war. Frierend in der Nacht, bei lebendigem Leib gebraten am Tage, inmitten einer immerwährenden Trostlosigkeit. Es ergab keinen Sinn. Selbst wenn sie dieser reglosen, stummen Hölle entkamen, sie würden auf jeden Fall zu spät kommen. Es ergab keinen Sinn. Jeder Atemzug, jeder Tritt auf den trockenen, braunen Boden unter ihren Füßen hämmerte diese Erkenntnis tiefer in ihre Seele hinein. Keinen Sinn. Die beiden Worte verfestigten sich zu greifbarer Mutlosigkeit. Eine, die auch die beiden anderen befiel, als sie, am Ende ihrer Kräfte, die sanft geschwungene Kuppe erreichten. Sie standen im Licht der letzten Sonnenstrahlen. Einen Tagesmarsch vom Ausgangspunkt entfernt bot sich das gleiche Bild wie auf dem Plateau. Braune Gipfel, braune Täler. Dem welligen Kamm der riesigen, schlafenden Schlange waren sie nicht einmal eine Meile näher gekommen.

Kapitel 46
    Nach seiner Ankunft in der Pilgerherberge nahe der berühmten Thanboddy-Pagode verspürte Arundhavi Hunger. Er legte seine Robe ab, kleidete sich in Hemd und Longyi und stahl sich heimlich davon. Man würde misstrauisch darauf reagieren, einen buddhistischen Mönch am Abend beim Essen zu vorzufinden. Die Ordensregeln untersagten jede Mahlzeit nach zwölf Uhr mittags. Mit den einfachen Kleidungstücken hingegen glich er einem einheimischen Bauer oder Kleinhändler.
Als Arundhavi die beiden Männer entdeckte, wusste er sofort, dass sie gefährlich waren. Nach Monywa kamen so gut wie keine Ausländer, und die wenigen sahen auch nicht aus wie Geheimdienstmitarbeiter. Im Gegensatz zu diesen beiden. Sie verfügten über Kontakte zur Regierung, denn sie saßen auf der Veranda eines Hotels, das keine Touristen aufnehmen durfte. Ihre Anwesenheit warnte ihn.
Abseits in der Dunkelheit der Straße wartete er und beobachtete sie. Der Hagere mit dem lichten, blonden Haar spielte mit einem Gehstock herum, während der Grobschlächtige gierig Bier in sich hineinschüttete. Vielleicht

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