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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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Leonard unter dem verstörenden Eindruck der letzten Hölle, jener in der Carpenter Street. Wein und Essen brachten seine Empfindungen wieder ins Lot. Deshalb kostete es ihn Überwindung, seine Augen von ihren Brüsten fernzuhalten. Von der hauchdünnen, grünen Seide umflort reckten sie sich seiner Berührung entgegen. Er zwang sich zur Konzentration.
„Alles dreht sich um das Auge der Dunkelheit“, sagte er.
Fragend legte Lin den Kopf schief wie ein Hündchen.
„Ein Kris“, erklärte er, „einer dieser magischen Dolche.“
„Ah“, machte sie nur.
Ebenso wie in Runcimans Salon zeigte sie auch jetzt kein Interesse, verweigerte sich diesen Absonderlichkeiten. Leonard räumte auf seiner Seite den Tisch frei und stellte eine Tasche darauf.
Den längsten Teil des Tages hatte er Buchläden und das Nationalmuseum durchforstet. Den Hinweisen folgend, die ihm die Unterlagen in Mahangirs Hotelzimmer lieferten, beschäftigte er sich stundenlang mit historischen Fakten, alten Schriften, Mythologien und Symbolsystemen. Der Stapel an Büchern und Notizen, den er auf den Tisch häufte, überstieg die Sammlung des Malaien um das Doppelte. Erstaunt begutachtete Lin den imposanten Haufen.
„Wie bist du auf all dieses Zeugs gekommen?“
„Sagen wir mal, mit der Unterstützung eines guten Freundes“, antwortete er mit einem hintergründigen Grinsen.
Mister Mahangir hatte ausgezeichnete Vorarbeit geleistet. Nur verschwieg Leonard, dass er das Buch, das sich mit den Schriftzeichen beschäftigte, schlicht und ergreifend aus dem Hotelzimmer geklaut hatte. Sein Bemühen, auch eine Ausgabe des Buches seiner Eltern zu finden, war fehlgeschlagen. Nach fünf Buchhandlungen gab er auf. Niemand kannte das Werk und es tauchte in keiner Liste auf, war demnach nie auf den Markt gekommen. Kavenay hatte gelogen. Sein Exemplar musste ein Vorabdruck sein. Und auch er dürfte es gestohlen haben. Als Letztes legte Leonard das Palmblattquadrat neben den Stapel.
„Dies ist der Schlüssel“, sagte er, „und nach allem, was ich mir zusammenreimen kann, verrät er, wo dieser Dolch zu finden ist.“
Jetzt wurde auch Lin von einer leichten Erregung erfasst, eine andere Erregung als die Minuten zuvor.
„Dallin hatte recht. Es ist so was wie eine Schatzkarte.“
Nur flüchtig registrierte Leonard, dass sie den Reedereibesitzer beim Vornamen nannte.
„Leider nur ein Teil“, sagte er. „Es gibt insgesamt drei davon.“
Lin inspizierte das Quadrat.
„Aber es sind nur wirre Linien“, meinte sie. „Außer den vier Zeichen in den Ecken gibt es überhaupt keinen Hinweis auf irgendeine Bedeutung.“
„Die vier Zeichen sind Zahlen. Hat mir der gute Freund verraten“, erläuterte er. „Der Rest ist verborgen. Mach das Licht aus.“
Sie legte den Schalter um und Leonard kramte eine Ultraviolett-Lampe aus der Tasche.
„Hiermit müsste es funktionieren.“
Er schaltete sie ein und bewegte das Palmblatt bedächtig unter dem dunklen Licht hin und her. Lins weiches Parfum schlich in seine Nase, die Haut ihrer Wange nur Millimeter von seiner entfernt.
„Da“, juchzte sie wie ein Schulmädchen.
In einer Stellung flirrten die Hexagramme wie ferne Sterne am Nachthimmel. Leonard hielt das Palmblatt in diesem Winkel fest.
„Zeichne sie ab“, forderte er Lin auf. „Und achte auf die richtige Position.“
Die Zungenspitze im Mundwinkel fertigte sie mit ihren zierlichen Fingern die Abschrift an. Gerade wollte Leonard das Palmblatt beiseitelegen, als es plötzlich erneut aufflimmerte. In einem anderen Winkel leuchteten auch um die fremden Zahlen herum Schnörkel auf. Auch diese kopierte Lin auf ihre Zeichnung. Nachdem sie das Raumlicht wieder eingeschaltet hatten, kontrollierte Leonard die Liste mit den 64 Hexagrammen. Er notierte die Bedeutungen derer, die sie auf dem Palmblatt gefunden hatten. Eine Viertelstunde später saß er vor einem unentwirrbaren Knoten unterschiedlicher Begriffe.
„Selbst wenn es auf diesem Planeten jemanden geben sollte, der dahinter einen Sinn entdeckt“, meinte er ernüchtert. „Ich bezweifele, dass sich darin der Teil einer Ortsangabe verbirgt.“
„Was ist mit den Schnörkeln“, ermunterte Lin ihn. „Das ist bestimmt nicht nur Dekoration.“
Die Schnörkel erwiesen sich als Erweiterung der Zahlen in den vier Ecken. Wie im Chinesischen änderte sich die Bedeutung der Zeichen, selbst wenn sie nur durch ein oder zwei Striche ergänzt wurden. Ohne die Schnörkel gaben sie Zahlen wieder. Mit ihnen

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