Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
in der Regierungspartei sind oder beim Militär. Wie Sie sich denken können, zwei sehr unattraktive Optionen. So muss man sehen, wo man bleibt.“
Leonards Unrast untersagte ihm, das Schicksal des taxifahrenden Geophysikers zu bedauern.
„Warum glauben Sie, wurde er nicht hier beerdigt?“
„Wenn Ihr Vorfahr dort oben gestorben ist, hätten sie ihn damals nie in einem Stück bis nach Rangun gekriegt. Selbst heute brauchen Sie für eine Reise dorthin eine ganze Woche. Ich wage mir kaum vorzustellen, wie das vor hundert Jahren aussah.“
„Natürlich. Es war damals unmöglich, in diesem Klima eine Leiche über eine längere Strecke zu transportieren, ohne dass man beim Verwesen zuschauen konnte.“
„Stimmt“, sagte der junge Mann. „Than Mon liegt weit ab von jeder anderen Siedlung. Sie werden die Gefallenen vor Ort beerdigt haben.“
Ein Fünkchen Hoffnung. Durch die nächsten Worte des Mannes erhielt sie einen Luftstoß, der sie zur Flamme aufloderte.
„Dort oben in der Provinz ist der Alte Mann nicht so eifrig damit, alte Gräber umzuschaufeln. Sie dürften noch existieren.“
Diese Mitteilung versetzte Leonard in Euphorie. Er bedankte sich bei dem jungen Taxifahrer, in dem er sowohl Geld tauschte, als auch eine Stadtrundfahrt buchte. Diese nutzte er, um dringende Aufgaben zu erledigen. Der Rest seiner Zeit reichte gerade, nach Than Mon zu fahren, aber weder für Recherchen vor Ort noch für die Rückfahrt. Für das Überschreiten des Visums drohte der Knast. Wie lange, lag im Ermessen der Beamten. Ein unkalkulierbares Risiko. Als Erstes steuerten sie das Immigration Office an, um eine Verlängerung des Visums zu beantragen. Und dort sank die Flamme seiner Hoffnung zu einem kaum wahrnehmbaren Glimmen ab. Auf das Ziel seiner Reise angesprochen teilte man ihm mit, die Chin Division befinde sich in offenem Aufruhr. Eine militärische Operation der Zentralregierung stehe bevor. Ausländern wurde die Einreise strengstens untersagt. Man warnte ihn eindringlich davor, auf eigene Faust in das Gebiet zu fahren. Jede unautorisierte Person, die man dort aufgriff, würde wegen Spionage angeklagt. Blackford Conleys Grab rückte für ihn in unerreichbare Ferne.
Kapitel 23
Aufzeichnungen des Reverend Elijah Willet, 15. März 1888
Ich begab mich noch einmal in die Mannschaftsquartiere der Garnison Prome. Da ich die Aussagen des Lieutnant Endicott stark in Zweifel zog, sprach ich mit einem anderen Mitglied der Expedition, ein Schotte namens Leachman. Er bestätigte, es habe einen Einsatz in jenem Dorf gegeben. Allerdings sei er als Maschinengewehrschütze am Dorfausgang postiert gewesen und habe nicht sehen können, was dort vorgefallen sei. Es habe einen Schusswechsel gegeben. Kurz darauf seien Einheimische über die Felder geflohen. In der Annahme, es handele sich um die Rebellen, eröffnete er ohne Zögern das Feuer. Allerdings, so erzählte Leachman weiter, ereignete sich nach dem Abrücken, etwa zehn Meilen jenseits des Dorfes, ein weiterer, äußerst mysteriöser Zwischenfall. Conleys Trupp überholte auf dem Weg vier Männer, die zu Fuß unterwegs waren. Allem Anschein nach buddhistische Mönche auf Pilgerschaft. Sie waren längst wieder außer Sicht, als den Captain ein rätselhafter Schwindel befiel. Wie von Sinnen, das waren Leachmans Worte, gab Conley Befehl, weiterzumarschieren. Er selbst ritt in Begleitung des Sergeanten Waite wieder den Mönchen entgegen. „Nach einigen Minuten“, so Leachman, „hörten wir einen Pistolenschuß. Lieutnant Endicott befahl Halt und preschte mit zwei Bengalis dem Captain hinterher. Sie kamen zu spät, wie der Lieutnant später sagte.“
Sie fanden nur noch Captain Conley lebend vor. Sergeant Waite und die vier Mönche lagen tot am Boden. Nach Conleys Aussage waren es als Pilger verkleidete Rebellen. Ihren unvermittelten Angriff überlebte er nur mit Glück. Merkwürdig an der Sache sei, so führte Leachman weiter aus, dass drei dieser angeblichen Rebellen Malaien waren. „Und da gibt es noch eines“, schloß er an. Jetzt, nach all dem Grauen, bedaure ich, Leachmans folgender Äußerung wenig Wert beigemessen zu haben. Ich stand noch zu sehr unter dem ersten Eindruck, den Conleys wilder Haufen anfänglich auf mich gemacht hatte. Später fand ich heraus, dass der Schütze Leachman, wie die meisten Schotten, gläubiger Katholik war. Und wohl der einzige unter den Männern, der seine Untaten ernsthaft bereute. Er glaubte fest daran, daß ihn seine gerechte Strafe
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