Das Auge der Seherin
hätten niemals wirklich existiert. Vor Landens innerem Auge erschien das Gesicht König Veldons. Seine letzten Worte hatten dem Schwert von Bellandra gegolten. „Landen. Das Schwert von Bellandra. Nimm es und hüte es gut. Suche jemanden, der dich lehren kann ...zu kämpfen."
Der junge Mann konnte sich jedoch kaum noch an die Züge seines Vaters erinnern. Das Zauberschwert leuchtete immer noch im Herzen des Prinzen, blickte er nur tief genug in sich hinein. Doch das geschah nur noch selten. Das Schwert hatte Bellandra nicht retten können. Alle sagten, es sei zerstört worden, seine geheimnisvolle Zauberkraft gehöre der Vergangenheit an. Landen wendete sein Pferd. Er konnte genau die Position der Grenzgarnison ausmachen. Von seinem Versteck aus suchte er sich einen Weg, sie zu umgehen. Kalter Regen setzte ein.
Landen verscheuchte die Bilder von Torina und begann mit dem Abstieg nach Desante.
Vesputo saß in einem breiten, reich verzierten Stuhl in den Gemächern des Königs, zu seiner Seite seine Komplizen Beron und Toban. Toban war ein nützlicher Mann, unglaublich stark und bewandert in Pflanzenkunde. Dreea war vor Kummer und Erschöpfung eingeschlafen, allerdings nicht ohne die Hilfe eines starken Tranks, den Toban zusammengebraut hatte. Ja!", rief er, als es klopfte. Irene huschte mit geschürzten Röcken herein. Vesputo lächelte. „Was gibt es Neues?"
Vesputo gab Toban ein Zeichen, worauf dieser den Raum verließ, um vor Torinas Tür zu wachen. „Komm, Irene, ich will dir etwas zeigen", sagte Vesputo. Sie schmiegte sich lächelnd an ihn. Er küsste sie auf die Lippen.
„Was willst du mir zeigen?"
Aus einer Kommode holte er Torinas Kristallkugel und zeigte sie Irene. „Sieh hinein, meine Liebe. Kannst du etwas erkennen?"
Sie hielt die glänzende Kugel auf ihrem Schoß und starrte hinein. Dieser Stein hatte alle seine Pläne verändert. Vesputo wartete gespannt, ob der Zauber des Kristalls auch bei Irene funktionierte. Er selbst hatte es auch schon versucht, doch ohne Erfolg. Vielleicht funktionierte es nur bei Frauen.
Irene sah zu ihm auf. „Klar wie Glas, mein Herr." Enttäuscht streckte Vesputo die Hand nach dem Kristall aus. Sie aber hielt ihn fest und lächelte.
„Lasst ihn mir. Vielleicht kann ich es lernen. Dann könnte ich Euch die Zukunft vorhersagen, mein Herr."
„Hm. Interessant. Ich werde deinen Vorschlag überdenken, meine Liebe. Versuche du, so viel wie möglich aus Torina herauszubekommen, wenn du ihr aufwartest."
Auf demselben kleinen Friedhof, auf dem wenige Tage zuvor Ancilla die letzte Ruhe gefunden hatte, versammelte sich nun eine große Trauergemeinde zur Beerdigung des Königs. Auf einem großen, marmornen Stein war der Grabspruch eingraviert - Kareed Archelda, unser mächtiger König, geliebter Ehemann und Vater. Vesputo stand neben dem Priester, sein Kopf war feierlich geneigt. Neben ihm auf einem Stuhl saß Dreea und weinte. Torina fiel durch ihre Abwesenheit auf. Der Priester sprach ausführlich über den siegreichen Kareed, über sein blühendes Königreich, seine weise Urteilskraft. Je länger er sprach, desto unruhiger wurde Vesputo, doch keine Regung verriet ihn. Endlich waren der Segensspruch und die Gebete gesprochen, die Blumen niedergelegt. Vesputo näherte sich Dreea und nahm ihre Hand.
„Torinas Tür ist mir immer noch verschlossen", schluchzte sie aufgelöst. Vesputo freute sich, denn die Umstehenden sahen zu. Die Nachricht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. „Wenn ich klopfe, befielt sie mir zu gehen. Hätte ich sie nicht mit eigenen Ohren gehört, würde ich es nicht glauben. Dass sie ihren Vater nicht auf den letzten Weg begleitet! Torina liebte ihn."
„Sie ist außer sich, edle Frau", sagte Vesputo. Dreea weinte noch heftiger. „Doch Euch will sie sehen."
„Ich tröste sie so gut ich kann."
„Heute Abend werde ich ihre Tür aufbrechen lassen. Sie kann doch nicht allein bleiben."
„Edle Königin, ich weiß, Euer Herz ist voll Weh. Jedoch rate ich davon ab die Tür aufbrechen zu lassen. Ihr Geist ist zu zerbrechlich."
„Oh! Mein König! Mein einziges Kind!" Dreea barg das Gesicht in ihren Händen.
Torina litt unendlich. Sie machte sich Vorwürfe, nicht klüger gewesen zu sein, glaubte, sie habe sich selbst, ihr Königreich und letztendlich ihren Vater im Stich gelassen.
Irene plapperte ständig auf sie ein und berichtete ihr vom ganzen bösen Klatsch, der im Schloss umging. Ob sie wüsste, dass alle sie für verrückt hielten? Ob
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